Kreuzberg
bescheiden bleiben, Knoop. Erst mal ist Hünerbein dran, der hat die
älteren Rechte.«
»Das will
ich meinen!«
Wenn man
vom Teufel spricht.
Hünerbein
kommt mit weit ausholender Geste den Gang herangeschnauft, wie eine
asthmatische Dampflok, und ruft: »Ratet mal, wo ich gerade war! Kommt ihr nie
drauf.«
Warum
sollen wir dann raten?
»In
London!« Hünerbein strahlt und setzt sich einen Bowler auf, mit dem er wirklich
aussieht wie der olle Churchill nach seiner berühmten
Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede. » This is the real proof . Aus dem Duty-free-Shop in
Heathrow.« Stolz präsentiert er das Flugticket und die entsprechende
Kreditkartenquittung – damit wir ihm ja glauben.
»Waren Sie
dienstlich in London oder privat?«, erkundigt sich Palitzsch streng.
»Dienstlich
natürlich.«
»Dann
können wir Ihnen die Rechnung nicht ersetzen. Sie hätten sich vorher eine
entsprechende Reisegenehmigung holen müssen.«
»Chef, das
war unmöglich«, verteidigt sich Hünerbein, »der Flieger ist einfach gestartet,
während ich noch mitten in der Befragung war. Da war einfach keine Zeit mehr
für Formalitäten. Ich bin ja froh, dass ich überhaupt gleich einen Rückflug
bekommen habe.« Er dreht den Bowler in den Händen wie ein Jongleur den Teller.
»Und was soll ich euch sagen: Die Sterne hatten recht!«
»Wobei?«
»Bei
allem.« Triumphierend sieht er mich an. »Wie ich es immer vorausgesagt habe. Es
ging bei dieser ganzen Entführung der kleinen Blumenhändlertochter nie um Geld
oder irgendwelche kriminellen Energien. Sondern um Liebe, Hass, Leidenschaft.
Die Astrologie wies immer darauf hin.«
»Na, na«,
winke ich ab.
»Also die
Richtung jedenfalls hat gestimmt.«
»Dann haben
wir es«, fragt Palitzsch, »mit einem kleinen Familiendrama zu tun?«
»Mit einem
großen Familiendrama«, behauptet Hünerbein. »Zumindest von der Summe der
enttäuschten Gefühle her. Hüseyin und seine vielen Geliebten waren der
Zündstoff für einen ganzen Haufen familiärer Verwerfungen. Fatma hatte sich
schon länger von ihrem Vater abgewandt. Sie war kaum noch zu Hause. Und ihre
Entführung hat sie nicht nur vorgetäuscht, um nicht heiraten zu müssen, sondern
auch, um überhaupt abhauen zu können. Sie wollte nur noch weg von ihrem Vater.
Weg aus Berlin. Am liebsten ans Meer mit ihren Freundinnen. Und auch Ayse hatte
schon lange den Absprung geplant. Die Gelackmeierten waren Orhan und Cemir.
Treue Seelen an sich. Die wollten eigentlich ihren Vater nicht allein lassen.
Aber auch in türkischen Familien gilt, was in allen Kulturkreisen gilt:
Letztlich hat Mama das Sagen. Die Jungs mussten folgen. Aber London ist ja nun
wirklich kein schlechter Ort zum Leben. Rule,
Britannia «,
deklamiert er aufgekratzt, »Britannia rule the
waves!«
»Und wo
steckt Fatma? Schon am Meer?«
»Wir wissen
nur, dass es ihr gut geht«, erklärt Hünerbein. »Wenn das der Mutter reicht,
sollte uns das auch reichen.«
»Moment«,
wendet Palitzsch ein, »die Vortäuschung einer Straftat ist auch eine Straftat.«
»Wir
sollten es bei dieser Feststellung belassen.« Hünerbein holt ein Papier hervor.
»Denn ich habe hier eine schriftliche Stellungnahme der Mutter Ayse
Misirlioglu, in der sie den Sachverhalt noch einmal erläutert, auf ihre
desolate Ehe hinweist und auf eine Anzeige gegen ihre Tochter wegen des
entwendeten Autos ausdrücklich verzichtet.«
»Gut.«
Palitzsch ist zufrieden. »Dann kommt das zu den Akten. – Weiter so, Männer!«
Er schüttelt uns beiden ergriffen die Hände und stiefelt von dannen.
»Hat er was
genommen?« Hünerbein feixt. »Der platzt ja fast vor Stolz.«
»Na, er
darf dem Bundesnachrichtendienst gleich unseren Heerstraßenkiller
präsentieren.«
»Was denn?«
Hünerbein guckt neugierig durch die Scheibe in den Vernehmungsraum A.
»Etwa die Stirnglatze da drin? Der sieht doch eigentlich ganz bieder aus.«
»Wie mein
Phantombild«, sage ich. »War doch recht gut getroffen, oder?«
»Da kann
ich mich gar nicht mehr dran erinnern«, winkt Hünerbein ab. »Aber der andere«,
setzt er hinzu, »der zur Befragung da war, als ich meinen Schlüssel vergaß. Der
kam mir bekannt vor!«
»Lothar
Reinicke«, sage ich. »Kein Wunder, der sieht aus wie Günter Netzer ohne Haare.«
»Wieso? Das
Einzige, was ich von Netzer kenne, ist doch die Frisur«, widerspricht Hünerbein
und schüttelt den Kopf. »Nee, ich hab den woanders schon mal gesehen.«
»Den
Reinicke?«
»Wenn das
sein Name ist: Ja. – Aber wo?«
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