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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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sich Tatverdächtige in eine für sie aussichtslose
Enge gedrückt fühlen, etwa durch den Einsatz eines schwer bewaffneten
Sondereinsatzkommandos, neigen sie zu Übersprungs- oder Kurzschlusshandlungen.
Zudem will ich Anke Cardtsberg nicht noch mehr gefährden, als sie es ohnehin
vermutlich schon ist.
    Wir einigen
uns schließlich auf einen Kompromiss: Das SEK wird einsatzbereit in
Stellung gebracht, das Institut betreten wir aber zunächst allein.
    Vorsichtig
schleichen wir über den Hof. Die trübe Lampe über der Tür verbreitet einen
diffusen rötlichen Schimmer. Das Licht im Treppenhaus lassen wir ausgeschaltet.
Im Dunkeln tasten wir uns hoch in den ersten Stock. Die Tür zum Yoga-Institut
ist geschlossen, und es dürfte schwer sein, sie lautlos aufzubrechen. Sie ist
aus Stahl, wie in diesen alten Hinterhoffabrikgebäuden üblich.
    »Dafür
brauchen wir eine gezielte Sprengladung.«
    »Das lassen
wir mal besser«, flüstert Inga Lenz. »Ich hab von draußen gesehen, dass im
ersten Stock ein Fenster nur angelehnt ist. Vielleicht komme ich da rein, und
dann mache ich von innen auf. – Warte hier, okay?«
    Sie lässt
mich im Dunkeln zurück und tappt die Treppe wieder hinunter. Merkwürdig:
Plötzlich stört mich nicht einmal, dass sie mich duzt.
    Durch ein
Fenster im Treppenhaus kann ich noch sehen, wie sie, gelenkig wie eine Katze,
draußen am Efeubewuchs der Fassade hochsteigt und lautlos im ersten Stock
verschwindet.
    Kurz darauf
ist es mit der Ruhe vorbei.
    » SCHMITTKE! SIE SCHWEIN! « Hinter der Stahltür hört man es mächtig rumpeln, irgendwer
schreit auf. » ICH BRING SIE UM, SCHMITTKE! «
    Da geht was
schief, denke ich und rüttle hektisch an der Stahltür, da geht gerade was
richtig schief.
    »Inga«,
rufe ich, »Inga, was ist los? Machen Sie auf, um Gottes willen!«
    Nichts
passiert. Ich lausche an der Tür. Man hört atemloses Keuchen, erstickte Schreie
und immer wieder das dumpfe satte Schmatzen harter Faustschläge.
    »Inga!«
    Mein
portables Funkgerät knackt. Die Stimme des SEK -Chefs meldet sich. »Alles
in Ordnung bei euch?«
    Von wegen.
Drinnen fliegt gerade irgendetwas durch die Gegend, und man hört ersticktes
Wimmern.
    »Hallo«,
knarzt es ungeduldig aus dem Funkgerät.
    »Ja«,
antworte ich.
    »Was
ist? – Zugriff?«
    »Moment.«
    Ich lausche
an der Stahltür. Drinnen ist es plötzlich wieder ruhig geworden. Dann nähern
sich Schritte. Wenig später wird die Tür aufgeriegelt, und Inga Lenz starrt
mich mit Tränen in den Augen an.
    »Schmittke«,
haucht sie nur und fällt mir dann weinend um den Hals. »So ein Arschloch, so
ein beschissenes, verdammtes Arschloch …«
    »Kein
Zugriff«, bremse ich das SEK per Funk aus. »Es ist
vorbei.«
    Ich nehme
Inga tröstend in den Arm. Sie schluchzt hilflos und macht sich wieder los.
    »Das
Schwein«, schnieft sie. »So ein elendes Schwein.«
    Vorsichtig
betrete ich den mit vielen Tüchern verhängten Raum und finde Anke Cardtsberg
frei auf dem Kopf stehend. Sie ist völlig nackt und wirkt wie eine Skulptur.
Regungslos, in Marmor gemeißelt. Das lange Haar verhüllt ihr Gesicht.
    Ich bleibe
stehen, sehe sie an und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Bemerkt sie
mich überhaupt? Oder ist sie gar verrückt geworden? Wie kann ein Mensch
überhaupt so lange unbeweglich auf dem Kopf stehen?
    »Das
Shirasana«, verkündet sie plötzlich sehr ruhig und deutlich, »aktiviert die
Gehirnfunktion und die Hypophyse. Es fördert die geistige Kraft und die
Konzentration.«
    »Geht es
Ihnen gut?«, frage ich.
    Sie klappt
nach vorn ab, mit den Füßen zuerst und steht dann wie ein umgedrehtes V
auf dem Boden.
    »Das
Parvatasana stärkt den Rücken und dehnt Arm- und Beinmuskulatur. Ebenfalls
fördert es Hypophyse und Hirnfunktion.«
    Okay, denke
ich: Die Ärmste hat den Verstand verloren.
    »Aber was
viel wichtiger ist«, Anke Cardtsberg schlägt ein Rad und richtet sich auf,
»diese Stellung wird auch ›Hund‹ genannt.« Sie nimmt sich ihren Sari und
wickelt sich darin ein. »Und genau so fühle ich mich: wie ein Hund. Oder
besser: eine Hündin.«
    Sie sieht
mir ins Gesicht, blickt aber mit feuchten Augen durch mich hindurch.
    »Er hat
gesagt, er liebt mich«, sagt sie wie zu sich selbst. »Aber liebt der Rüde die
Hündin, wenn er sie von hinten fickt?«
    »Frau
Cardtsberg?« Inga Lenz kommt von hinten heran. »Kommen Sie! Wir bringen Sie in
ein Krankenhaus.«
    »Nein.«
Anke Cardtsberg schüttelt entschieden den Kopf. »Kein Arzt. Mir helfen

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