Kreuzberg
türkischen Teestube erzählt, wollten die beiden ja sogar
eine gemeinsame Reise unternehmen. Nach Mauritius – tja, da war ich auch
noch nie. Und ich werde da auch nie hinkommen, jetzt, wo ich zum zweiten Mal Vater
werde. Statistiken zufolge kostet ein Kind die Eltern bis zum achtzehnten
Lebensjahr fünfhunderttausend Deutsche Mark. Eine halbe Million, das muss man
sich mal vorstellen! Ich verdiene im Jahr mit allen Zulagen gerade mal
fünfzigtausend netto, also neunhunderttausend in achtzehn Jahren. Wenn ich
davon fünfhunderttausend wieder abziehe, bleiben mir noch vierhunderttausend
übrig. In Zukunft muss ich also mit – Moment – 22.222 Mark und 22
Pfennigen auskommen, das sind knapp 1.852 Mark im Monat. Adieu Fernreise.
Versonnen
bleibe ich vor den verlockenden Angeboten stehen, mit denen die Schaufenster
von »Het Paradijs Reizen« zugeklebt sind. Die sechs Wochen Amerika auf der
Route 66 für 6.666 Mark kann ich vergessen. Und Neuseeland für achttausend
ist erst recht nicht mehr drin. Auch Europa wird schwierig, denn selbst wenn
Melanie nicht mitkommt, sind wir dank des kleinen Rackers künftig immer noch zu
dritt. Da werden selbst Reiseziele wie Mallorca oder die Kanarischen Inseln zum
finanziellen Problem.
Worauf habe
ich mich nur eingelassen, denke ich in einem Anflug von Selbstmitleid. Welcher
Teufel hat mich geritten, verdammt noch mal. Ich gehe auf die fünfzig zu, da
sollte es doch langsam mal gut sein! Stattdessen verbaue ich mir diesen
spärlichen Rest meines Lebens mit ruinös kostenintensivem Kindergeschrei, einem
Haufen neuer Verantwortung und jeder Menge Stress.
» ABENTEUER FRACHTSCHIFFFAHRT «, lese ich auf einem der ausgestellten Flyer. »Die weite Welt
entdecken wie ein Seefahrer als Passagier auf modernen Containerschiffen.« Das
ist sogar recht günstig.
Fluchtgedanken
werden in mir wach. Einfach abhauen, denke ich, schnell buchen und weg. Alles
hinter mir lassen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Ich will
das Reisebüro gerade betreten, da kommt Hünerbein heraus.
»Und wenn
du denkst, es geht nicht mehr, kommt garantiert der Sardsch daher«, freut er
sich und haut mir leutselig auf die Schulter. »Wir wär’s mit einem gemeinsamen
Mittagessen?«
»Machst du
nicht Diät?«
»Ach was«,
winkt er ab, »der Mond steht heute im Stier, da kann ich reinhauen wie ein
Scheunendrescher. – Komm mit, gleich hier ums Eck ist ein wunderbarer
Mexikaner, der macht ein paar Tortillas, mhm, lecker!« Hünerbein spitzt den
Mund genussvoll und zieht mich mit sich fort.
Wenig
später sitzen wir in einer kleinen Taquería vor einem Berg Nachos und müssen
uns dreier beleibter Mariachi-Musiker mit übergroßen Sombreros erwehren, die
mit viel Schmelz hinter ihren hoch vor die Brust geschnallten Gitarren »Las
Golondrinas« besingen, die Schwalben vor der untergehenden Sonne von Jalisco.
Auch der
Einsatz eines Zehnmarkscheins kann die Musiker nicht bewegen, von unserem Tisch
Abstand zu nehmen. Im Gegenteil, sie spielen jetzt erst recht drauflos. Ganz
offenkundig glauben sie, in uns spendable Freunde ihrer Kunst entdeckt zu
haben, und hoffen auf weitere Scheine.
Wir müssen
zu unserem härtesten Mittel greifen. Abrupt stehen Hünerbein und ich auf, die
Hand aufs Herz, und beginnen laut und mit dramatischem Tremolo die
»Caprifischer« anzustimmen. Das hat bislang immer geklappt, damit treibt man
jeden Straßenmusiker in die Flucht, und auch unsere Mariachis ziehen sich nach
nur einer Strophe verwirrt zurück.
Hünerbein
berichtet von seinen Ermittlungen. Dieser Blumenhändler sei vielleicht ein
Casanova.
»Der
treibt’s mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Sogar seine
Sachbearbeiterin im Finanzamt hat er flachgelegt. Sophia Hertz. Die hat
vielleicht geschwärmt! Nach Paris ist sie mit ihm geflogen und was weiß ich
wohin noch alles. Und«, Hünerbein wedelt wissend mit den Zeigefinger, »sie ist
sich sicher, dass der Kerl Kohle hat. Schwarzgeld, verstehste?«
»Sonst
hätte er der de Groot ja nicht die Reise nach Mauritius versprechen können«,
sage ich.
»Auch das
weißt du schon?« Hünerbein ist enttäuscht, und ich gebe noch einen drauf.
»Hüseyin
Misirlioglu hat nur deshalb die Steuerfahndung auf den Hals gehetzt bekommen,
weil die verliebte Sophia Hertz hinter die Affäre mit Sylvie de Groot gekommen
ist.«
»Was, die
auch?« Hünerbein stopft Nachos in sich rein. »Na, jetzt wird mir einiges klar.«
Fein, denke
ich, denn mir ist gar nichts klar.
»Ist
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