Kreuzberg
doch
ganz einfach.« Hünerbein schnalzt mit der Zunge, da ein Kellner die Tortillas
bringt. »Ayse wollte weg. Vier Tickets nach London, überleg doch mal! Ohne
Rückflug. Eins für sich selbst, zwei für ihre beiden Söhne Cemir und Orhan und
eins für Tochter Fatma. Da macht auch der Sprachkurs Sinn.« Er beginnt, die
Tortillas zu vertilgen. »Unser Blumenhändler war drauf und dran, seine gesamte
Familie nach England zu verlieren. Bye, bye, Hüseyin. Wahrscheinlich wären die
längst weg, wenn nicht die Tochter entführt worden wäre.«
»Ja, aber
von wem?« Auch ich fange an zu essen.
»Von
jemandem, der um Hüseyins Schwarzgeld weiß.«
»Sophia
Hertz?«
Hünerbein
bezweifelt das. Die sei Beamtin und sicher wahnsinnig gesetzestreu. »Ich tippe
eher auf diesen …« Er sucht in den Innentaschen seines Trenchcoats nach
dem Notizbuch und schlägt es auf. »… Recip Kahali. Ein ehemaliger
Konkurrent Hüseyins auf dem Blumenmarkt.«
»Dann sollten
wir dem mal einen Besuch abstatten.«
»Das werden
wir«, schmatzt Hünerbein, während es laut zu piepsen anfängt. »Ah, der Pager!«
Wieder beginnt er, in seinen Taschen herumzunesteln.
Ich hasse
diese Dinger. Kleine streichholzschachtelgroße Sender, die man sich in die Hose
stecken kann. Die Dienststelle hat uns damit ausgerüstet, damit wir besser
erreichbar sind. Der Anrufer piept dich an, du siehst seine Nummer auf dem
Display des Pagers, suchst dir ein Telefon und rufst zurück.
Manche
finden das praktisch. Ich eher bedrohlich. Ich will nicht immer erreichbar
sein, und deshalb lasse ich meinen Pager grundsätzlich zu Hause. Wer mich
sprechen will, kann mich auf der Dienststelle oder zu Hause anrufen und eine
Nachricht auf dem AB hinterlassen. Das sollte
reichen.
»Der Chef«,
sagt Hünerbein mit Blick auf den Pager. »Scheint was Dringendes zu sein.«
Er erhebt
sich und geht zum Tresen. Der Barmann schiebt ihm ein Telefon zu. Hünerbein
telefoniert und kommt nach einer Weile zurück.
»Wir müssen
sofort zurück zur Dienststelle!«
»Worum
geht’s denn?«
»Der
Verfassungsschutz ist gerade dabei, sämtliche Unterlagen zum Fall Swantje
Steffens zu beschlagnahmen.«
Ich kann es
kaum glauben. Der Verfassungsschutz? Wieso das denn? Was hat denn der mit
unserem Fall zu tun?
Eilig folge
ich Hünerbein ins Freie.
26 RECHTSANWALT
HERIBERT NAUMANN kam
Sekunden zu spät. Die Sowjets waren schneller. Als er sich mit seinem BMW dem Tor 1 der Tegeler Haftanstalt näherte, sah er, wie sein Mandant gekidnappt
wurde. Zwei Männer in Lederblousons zerrten Meyer in eine schwarze
Wolga-Limousine, die kurz darauf mit quietschenden Reifen davonschoss.
Naumann
drückte aufs Gas. Natürlich musste er an dem Wolga dranbleiben. Er gab sich
keine Mühe, die Verfolgung zu verschleiern, im Gegenteil: Naumann machte
richtig Druck. Wenn die Russen merkten, dass ihr Vorhaben bemerkt worden war,
ließen sie es vielleicht bleiben.
Immerhin
war das hier das alte Westberlin, und es gab noch Amerikaner in der Stadt, die
die Freiheit garantierten, wenn der deutsche Staat dabei versagen sollte. Und
es würde schwerwiegende politische Konsequenzen haben, wenn bekannt wurde, dass
die Sowjets mitten in der Bundeshauptstadt einen deutschen Staatsbürger in ihre
Botschaft entführten.
Wo sind sie
jetzt eigentlich, dachte Naumann verbittert, diese ganzen westlichen
Geheimdienste? BND , MAD , Verfassungsschutz –
eigentlich sollten die den Job hier übernehmen. Doch die Westdienste schliefen.
Wieder einmal. Das wenigstens hatte sich nicht geändert.
Naumann
setzte zum Überholen an. Der Fahrer des Wolga versuchte, das geplante Manöver
zu verhindern, und zog ebenfalls nach links, bevor er unvermittelt und in einer
halsbrecherischen Rechtskurve den Zubringer auf die Stadtautobahn nahm.
Naumann
latschte auf die Bremse, zog scharf das Steuer herum und gab sofort wieder Gas.
Gut, dass der Wagen noch kein ABS hatte, so gelang ihm der
Return mühelos. Der BMW drehte sich kreischend
einmal um die eigene Achse und schoss dann ebenfalls den Autobahnzubringer
hinauf. Hinter sich vernahm Naumann das schrille Aufschreien von Bremsen, bevor
es mehrmals krachte. Mehrere Fahrzeuge, die seinem abrupten Wendemanöver
ausweichen mussten, waren ineinandergerast.
Pech
gehabt, Bürger, dachte Naumann, hier geht’s immerhin um Weltpolitik. Krieg der
Geheimagenten. Jeder gegen jeden. So war das Geschäft.
Er trat das
Gaspedal bis zum Anschlag durch, der BMW beschleunigte mit einem
satten Surren
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