Kreuzberg
Verkehrsaufkommen entweder für die eine oder die andere
Richtung freigeschaltet. Jetzt strebten die Pendler vor allem in die
Innenstadt, weshalb stadtauswärts nur zwei Spuren verfügbar waren, und genau
diesen Umstand machte sich Naumann zunutze. Hinter der Stößenseebrücke scherte
er nach links in den Gegenverkehr aus. Er wich den erschrocken hupenden und
hektisch Lichthupe gebenden entgegenkommenden Fahrzeugen im Zickzack aus und
beschleunigte, bis er auf Höhe des Wolga war. Dann nahm er die Pistole in die
rechte Hand, zielte kurz und drückte ab.
Die
Seitenscheibe des Wolga splitterte, der Fahrer war sofort tot. Der Schuss hatte
ihn in den Kopf getroffen, und er kippte seitlich vom Steuer weg. Der Wolga
begann heftig zu schlingern und drohte nach links auszubrechen, doch Naumann
lenkte seinen BMW seitlich dagegen und hielt ihn so in der
Spur. Kreischend und funkentreibend rieben sich die Flanken der Fahrzeuge
aneinander. Türgriffe und Außenspiegel rissen ab, die Autobleche der Kotflügel
und Türen wurden irreparabel deformiert.
Naumann tat
es vor allem um den BMW leid.
Vorn
tauchte die Heerstraßenbrücke auf. Rechts davor ging ein kleiner Pfad zum
Havelufer ab, und genau dort wollte Naumann den Wolga hinbugsieren, bevor
dieser an Fahrt verlor.
Behutsam
zog Naumann das Lenkrad weiter nach rechts, verstärkte so den Druck auf die
führerlos gewordene Russenlimousine und schob sie schließlich von der Fahrbahn.
Der Wolga
holperte über den Bordstein, kam ins Schleudern und überschlug sich mehrmals,
bevor er unterhalb der Heerstraßenbrücke am Havelufer auf dem Dach liegend in
einer Staubwolke zum Stehen kam.
Perfekt!
Naumann stoppte seinen BMW , stieg aus und sah sich
kurz um.
Bis auf
einen polnischen Schubverband, der über die Havel tuckerte, war niemand zu
sehen. Die beiden übrigen Russen versuchten hastig, aus dem Wrack des Wolgas zu
klettern. Sie hatten keine Chance. Naumann erledigte sie ebenfalls mit nur je
einem Kopfschuss. Dann warf er die Waffe in den Fluss und half seinem früheren
und etwas verwirrten Führungsoffizier aus dem Fond des völlig demolierten
Autos.
»Kommen
Sie, wir müssen weg hier!«
Meyer
blutete am Kopf. »Sind Sie wahnsinnig, Naumann«, stammelte er entsetzt. »Mit
Ihren Wildwestmethoden machen Sie uns sicher keine Freunde …«
»Sonst
wären Sie dran gewesen, Meyer. In Moskau regiert jetzt ein Notstandskomitee
unter KGB -Chef Krjutschkow.«
»Krjutschkow,
sind Sie sicher?« Der Mann galt als überzeugter Stalinist. »Ich hatte gedacht,
Janajew und Pugo wollten –«
»Vergessen
Sie Janajew und Pugo.«
Naumann
versuchte, die Beifahrertür zu öffnen, doch die gewaltsame Begegnung mit dem
schweren Wolga hatte sie eingedrückt und völlig verzogen. Sie ließ sich nicht
mehr öffnen.
»Ohne die
Hardliner um Pawlow und Marschall Jasow läuft in Moskau nichts.«
Naumann
lief um den Wagen herum, um Meyer auf der Fahrerseite in den Fond zu lassen.
»Und schon
gar nicht ohne den KGB . Janajew ist nur das zivile
Gesicht des Putsches. Dahinter stehen die Militärs. Und die werden abrechnen.«
Meyer
tupfte sich mit einem Taschentuch das Blut von der Stirn. »Haben Sie mal wieder
die Seiten getauscht?«
»Ich habe
nie die Seiten getauscht!« Naumann startete den Wagen und fuhr vorsichtig
rückwärts zurück zur Heerstraße. »Ich habe aber auch nie taktiert, so wie Sie!
Egal, mit wem ich zusammenarbeite: Meine Loyalität galt und gilt allein der
Hauptabteilung Aufklärung.«
»Dann haben
Sie mir gestern die Meldung zukommen lassen? Von Mischa?«
»Wir müssen
ihn da rausholen«, erklärte Naumann. Er steuerte den Wagen zunächst Richtung
Innenstadt, bog aber dann hinter den Tiroler Bauernstuben in die Straße Am
Postfenn ab. »Hoffentlich ist es noch nicht zu spät!«
Meyer
sortierte sich. »Wie ist denn die Lage in Moskau?«
»Noch nicht
vollständig unter Kontrolle«, antwortete Naumann, »an strategischen Punkten ist
das Militär mit Panzern aufmarschiert, aber es gibt wohl Proteste aus der
Bevölkerung.«
»Ein
kleines Zeitfenster haben wir also noch«, sinnierte Meyer, »bis sich die Lage
in Moskau stabilisiert.«
»Nein. Ich
glaube nicht, dass wir dieses Zeitfenster haben.« Naumann fuhr jetzt die
Havelchaussee hoch, eine herrliche Strecke durch den Grunewald und immer am
Wasser entlang. »Zumindest hier in Berlin haben die Sowjets schon mit dem
Aufräumen begonnen.«
»Wie meinen
Sie das?«
»So, wie es
klingt.« Naumann klang bitter. »Der gute alte
Weitere Kostenlose Bücher