Kreuzberg
»rück ja keine Akten raus, klar?«
»Ja, aber
eigentlich wollte ich etwas ganz anderes mit dir bereden.«
»Nicht am
Telefon«, unterbreche ich ihn rasch, »nachher werden wir noch abgehört.«
»Sag mal,
hattest du irgendwas im Tee? Du klingst so wahnsinnig.«
»Der
Wahnsinn ist überall, Jürgen. Nicht nur in meinem Kopf. Bin gleich bei dir.«
Ich lege auf und sehe Inga Lenz an. »Geben Sie mir die Kassette? Ich übernehme
das für Sie.«
Inga weicht
zurück. »Tut mir leid, Knoop, das würde ich gern selbst übernehmen.«
»Schade.«
Ich nehme meine Jacke. »Sonst hätten Sie sich nämlich um eine Zeugin kümmern
können, die Ihren Golgatha-Täter womöglich gesehen hat.«
»Eine
Zeugin?«
»Padma-Aruna-Yoga
in der Methfesselstraße. Während Sie den Park abriegeln ließen, ist dort ein
seltsamer roter Engel aufgetaucht. Die Zeugin ist sich sicher, dass er sich nur
vor der Polizei verstecken wollte.«
Ich nehme
mir das Tonband und will zur Tür, doch Inga Lenz hält mich am Ärmel zurück.
»Mach keine
Scheißwitze, okay? Ich bin echt nicht zu Späßen aufgelegt.«
»Ich weiß,
Inga. Ich weiß.« Ich schreibe die genaue Adresse von dem Yoga-Institut auf
einen kleinen Zettel.
Sie lässt
mich langsam los.
»Die Zeugin
heißt Anke Cardtsberg und ist die Chefin dort.« Ich gebe ihr den Zettel. »Viel
Glück!«
28 DAS INSTITUT für Kriminaltechnische Untersuchungen
ist für Laien wie mich eine Zauberhöhle. Da gibt es Räume, in denen weiß
gekleidete Laborassistentinnen zwischen Apparaturen mit seltsamen Chemikalien
herumschleichen. Man sieht viele Glasgefäße, die ich noch aus dem
Chemieunterricht in der Schule als Erlenmeyer-Kolben kenne, und überall
blubbert, köchelt und dampft es wie in einer Hexenküche. Andere Zimmer sind
schallisoliert. Hier wird scharf auf gallertartige Blöcke, Zement und Stahl
geschossen, komplizierte Geräte messen ballistische Bögen, Durchschlagskräfte
und Schussgeschwindigkeiten. Es gibt Säle voller Mikroskope, Vergleichsscanner
und Prozessoren, die alle irgendetwas analysieren: Schriftproben, Stoffreste,
Duftmarken, Spuren jeder Art und Form.
»Hörst du
das?« Damaschke steht vor einem Bandgerät mit vielen Reglern und Knöpfen und
spielt mir immer wieder die Aufzeichnung vom Anruf bei Inga Lenz vor. »Dieser
leicht verzerrte Klang?«
»Ich bin der, den du suchst. Aber es ist
schwierig geworden im Viktoriapark. Da rennen mir jetzt zu viele Rächerinnen
herum. Ich werde auf die Hasenheide ausweichen müssen.«
»Wie durch
eine leere Blechdose oder so.« Damaschke zieht ein paar Regler auf und zu, und
die Stimme wird klarer.
»Ich bin der, den du suchst – ich bin der,
den du suchst – ich bin der, den du suchst …«
»Das ist
ein ganz einfacher Trick, um die Stimme zu verfremden«, erklärt Damaschke, »man
nimmt eine leere Konservendose und spricht hinein. Der Boden der Dose dämpft
die Schallwellen und gibt sie durch Eigenvibration verfremdet weiter. Da kann
man selbst mit modernster Technik nichts mehr machen.«
»Ich bin der, den du suchst …«
»Die
einzige Möglichkeit, die wir haben, ist eine Frequenzmessung.« Damaschke stoppt
das Band und legt es in ein anderes Gerät ein, das wie ein Mischpult in einem
Tonstudio aussieht und mit vielen Monitoren und Bildschirmen verkabelt ist. Ich
bin beeindruckt. Das meiste davon hat Damaschke selbst angeschafft und bezahlt,
denn die Berliner Polizei leidet an notorischem Geldmangel und spart gern an
Ausrüstung und Material.
»Achte mal
auf die Tonkurve Bildschirm zwo.« Das Band läuft, auf dem Monitor sieht man die
Ausschläge der Tonkurve.
»Jetzt
nehmen wir mal den Widerstand der Blechdose raus«, murmelt Damaschke und dreht
an ein paar Knöpfen herum, »damit werden wir zwar nicht die Originalstimme des
Anrufers herausbekommen, wohl aber die Frequenzmodulation, mit der er spricht.«
Die
Tonkurve verändert sich, und gleichzeitig beginnt ein Drucker das Ergebnis auf
einem Bogen Papier auszudrucken.
»Jetzt
machen wir dasselbe mit dem Anrufer vom Viktoriapark.« Damaschke wechselt die
Bänder. »Der sprach ja unverzerrt, insofern können wir uns den Filter hier
sparen …« Er schaltet ein paar Knöpfe aus. »… und müssen nur auf die
Frequenz achten. – Wieder Bild zwo.«
Ich starre
auf die Tonkurve. Viel anders als die erste sieht sie nicht aus. Genau genommen
sehe ich überhaupt keinen Unterschied.
»Dieselbe
Stimme?«, frage ich, als der Drucker wieder
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