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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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anspringt.
    Damaschke
schüttelt den Kopf. »Mitnichten«, sagt er und sieht sich beide Papiere an. »Da
sind oft Unterschiede von fast fünfzig Hertz.«
    »Okay«,
sage ich. »Und was heißt das?«
    »Die
Stimmen sind nicht identisch.« Damaschke schaltet das Gerät ab und gibt mir
Ingas Band zurück. »Der Anrufer vom Viktoriapark ist definitiv nicht der Anrufer,
der die Lenz zum Görlitzer Park gelotst hat. Der eine spricht Bass, der andere
Bariton. So sehr kann man sich nicht verstellen. Es sind zwei unterschiedliche
Männer.«
    Aha. Das
wäre also geklärt.
    »So, jetzt
komm! Das wollte ich dir unbedingt zeigen.«
    Damaschke
zieht mich zu einem grünen Metallkasten, der mich an einen alten Radarmonitor
erinnert oder an einen dieser Stereoskopie-Guckkästen, wie es sie früher auf
Jahrmärkten gab. Dabei werden die Augen an einen taucherbrillenartig
ausgeformten Gummiflansch gepresst, damit man sich ohne störende Einflüsse von
außen auf das zu betrachtende Objekt konzentrieren kann.
    »Schau mal
da durch! Das ist das Video mit der entführten Blumenhändlertochter. Fällt dir
was auf?«
    Ich hocke
mich auf Damaschkes Rollhocker und presse meine Augen an den Gummiflansch des
Guckkastens. Erst flimmert das Bild, dann sehe ich das mir bereits bekannte
Video: Fatma, gefesselt auf einem Stuhl vor der schmuddeligen Ziegelwand
sitzend.
    »Tut, was
sie verlangen«, ruft sie zitternd, »sonst bringen sie mich um!« Dann hält
jemand einen maschinegeschriebenen Zettel vor die Kamera: »Bleibt am Telefon!
Wir melden uns! KEINE POLIZEI !!!«
    Das Bild
erlischt.
    »Und? Was
gemerkt?« Damaschke sieht mich fragend an.
    Ich weiß
nicht. Ratlos hebe ich die Schultern. Was soll ich gemerkt haben?
    »Achte mal
auf diese Wand im Hintergrund links von dem Mädchen.«
    Damaschke
spult das Band vor und lässt es noch mal laufen. Erneut presse ich meine Augen
an den Gummiflansch, und tatsächlich erkenne ich links schwache
Lichtreflexionen. Ein kaum wahrnehmbares Flimmern, aber es ist da.
    »Was ist
das?«
    »Es gibt
dazu einen Ton.« Damaschke dreht an ein paar Reglern. »Den hört man allerdings
nur, wenn die Stimme des Mädchens vollkommen ausgeblendet wird. – Achtung:
jetzt!«
    Ich höre
nur ein lautes Rauschen. Oder ist da noch was?
    »Nichts? –
Warte mal.« Damaschke schaltet einen zweiten Monitor ein. »Hier auf dem
Oszillografen kannst du die Tonkurve vergrößert sehen.« Er stoppt das Band
erneut, spult zurück und lässt es wieder laufen.
    Zunächst
ist auf dem Oszillografen nur eine gerade grüne Linie zu sehen.
    »Das ist
das Grundrauschen«, erklärt Damaschke. »Aber jetzt!«
    Die grüne
Linie beginnt auszuschlagen. Erst ganz leicht, dann stärker werdend, um sich
anschließend wieder abzuschwächen.
    »Synchron
dazu kommt das Flimmern im Bild.« Damaschke schaltet einen Sekundenzähler dazu.
»Ich hab das jetzt bestimmt zehnmal durchgemessen. Immer wenn die Tonkurve am
höchsten ausschlägt, haben wir auch diese schwache Lichtreflexion an der Wand
neben dem Mädchen.«
    »Was kann
das sein?«, frage ich ihn.
    »Ich bin
nicht sicher.« Damaschke stöpselt an seinen Geräten herum. Ein Stecker hier,
zwei andere da. Schon erstaunlich, wie der Kerl sich mit seinen komplizierten
Apparaten auskennt. »Wir simulieren mal einen Ton zur Kurve. Achtung!«
    Ein
schwaches Pochen, sehr leise zunächst, dann anschwellend, dadam, dadam –
dadam, dadam, bevor es wieder leiser wird und ganz verklingt.
    »Ein Zug?«
Allein vom Rhythmus her klingt es, als wenn etwas über Bahnschwellen fährt.
    Damaschke
nickt. »Ja, das vermute ich auch.« Er nestelt an ein paar Knöpfen herum. »Hören
wir uns noch mal den Originalton an. Ich lege mal einen Rauschfilter drüber.«
    Wir spitzen
die Ohren. Dafür, dass ein Filter vorgeschaltet ist, rauscht es noch
ordentlich. Doch dann kommt das Geräusch, erst eine Art Sirren, dann das
Pochen. Dadam, dadam. Jetzt hört es sich tatsächlich wie das eisenbahntypische
Rattern an. Dadam, dadam.
    Wir sehen
uns an, nicken. Die Sache ist eindeutig. Am Versteck der Entführten fährt ein
Zug vorbei.
    »Dann hockt
die irgendwo in einem Tunnel«, überlege ich, »vielleicht in einem U-Bahn-Schacht?«
    »Dann wären
die Geräusche lauter«, widerspricht Damaschke, »und die Lichtreflexionen an der
Wand stärker.«
    »Also wo?«
    »Wir sind
immer von einem Keller ausgegangen.« Damaschke kratzt sich am Kopf und presst
die Augen wieder an den Gummiflansch. »Von Kunstlicht, einem Scheinwerfer, der
das

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