Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
danke. In Berlin habe ich bei Freunden einige Habseligkeiten untergestellt.«
»Lass sie herschicken.« Meister Leopold erhob sich und brüllte mit Donnerstimme aus der Tür: »Emma, mach das Zimmer oben für David fertig!« An David gewandt, erklärte er: »Sie ist meine Jüngste. Führt mir den Haushalt, seit ihre Mutter gestorben ist. Die beiden Jungen sind unterwegs. Hab ihnen ans Herz gelegt, ihr Handwerk in der Fremde zu lernen. Einer ist in Kopenhagen, der andere in Paris. Machen ihre Sache gut.«
Es war, wie angekündigt, harte Arbeit. Härter, als David es sich vorgestellt hatte. Seine Hände waren oft so zerschrammt und voller Blasen, dass er kaum seinen Stift halten konnte, es schmerzten ihn Muskeln, von denen er nicht gewusst hatte, dass sie sich überhaupt in seinem Körper befanden, Staub und Schweiß verklebten seine Haare, Gips brannte in seinen Augen, und seine Fingernägel wollten gar nicht mehr sauber werden. Trotzdem eilte er zu den Vorlesungen, wühlte sich durch Starks Bücherbestand und widmete sich abends zwei Stunden den Berechnungen, die ihm sein Lehrherr aufgab. Das machte ihm Freude, denn der Geometrie hatte immer schon seine Leidenschaft gegolten. Das Einzige, wozu er wirklich keinerlei Kraft mehr aufbringen konnte, war, mit Emma tanzen zu gehen. Er fiel totmüde in sein Bett, und keinerlei beklemmende Träume störten seinen erschöpften Schlaf.
Das Zimmer mochte nicht elegant sein, aber es war groß und luftig und mit einfachen, zweckmäßigen Möbeln eingerichtet. Eine Zugehfrau kümmerte sich um die Wäsche und das Putzen, Emma kochte gehaltvolle Suppen und buk würzige Pasteten, sie packte ihm jeden Morgen eine Schachtel mit dick belegten Broten ein. Meister Leopold war gleichbleibend freundlich zu ihm und schien sich an seiner mathematischen Begabung zu erfreuen. Mit seinen Kommilitonen hingegen schloss David wenig Bekanntschaft. Einerseits blieb ihm kaum Zeit dafür, andererseits waren die Studenten etliche Jahre jünger als er, und ihre Juxereien kamen ihm unreif und albern vor.
Nach einem Monat hatten seine Hände auch an den richtigen Stellen Schwielen gebildet und sein Körper die notwendigen Muskeln bekommen. Es wurde leichter.
Dann kam der Fuhrkarren mit den drei Kisten, dem Schrankkoffer und einer Tasche voller Briefe aus Berlin. Er begrüßte seine Bücher wie Freunde, ließ die Kiste mit den Uniformstücken geschlossen und verteilte die wenigen Kleinigkeiten, die er in den Jahren angesammelt hatte, auf den Borden an der Wand. Dann nahm er sich die Mappe mit den Briefen vor. Den seiner Mutter überflog er widerwillig, er war mit Klatsch und Gejammer gespickt, der eines Kameraden hatte einen leicht verächtlichen Unterton, der seiner Vermieterin einen nurmehr geschäftlichen. Mehr Zeit widmete er dem Schreiben von Pastor Dettering, der einige Neuigkeiten beinhaltete. Nikolaus’ Vater war ihm immer gewogen gewesen, seine nüchterne Art, die Fakten zu betrachten, hatte ihn oft beeindruckt und ihm geholfen, seine aufgewühlten Gefühle mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Aber manches, was er auf den fünf eng beschriebenen Seiten fand, weckte dennoch Davids Groll. Berlin, so schrieb der Pastor, litt beträchtlich unter den französischen Kontributionen und den Einquartierungen. Er suchte die Hauptstadt derzeit nur selten auf. Doch bei seinem letzten Besuch hatte er erfahren, Isabetta habe sich eng an einen französischen Offizier angeschlossen. Major Cattgard hingegen sei, vom Dienst beurlaubt, auf sein Gut zurückgekehrt. Bedauerlicherweise hatte es, als er noch in der Hauptstadt weilte, eine öffentliche Szene zwischen ihm und seiner ehemaligen Gattin gegeben. David konnte sich den Skandal lebhaft vorstellen. Vermutlich ging es um Geld.
Dagegen freute er sich über die zweite Nachricht, die da hieß, sein Freund Nikolaus habe eine junge Engländerin geheiratet, die weitläufig mit seiner Familie verwandt war. Die Nachricht einer weiteren Eheschließung jedoch war wieder dazu angetan, seinen Ärger zu schüren. Adam Burk war, ebenfalls beurlaubt, in sein Heimatdorf zurückgekehrt, um im Eisenwarenhandel seines Vaters mitzuarbeiten. Das war nicht weiter erstaunlich; was David aber einen echten Stich versetzte, war die Mitteilung, er sei mit Dorothea, Davids ehemaliger Verlobter, durchgebrannt. Das hatte Pastor Dettering entsetzt, denn sie war zu diesem Zeitpunkt zu Gast in seinem Haus. Er fühlte sich verantwortlich und beklagte, seiner Aufsichtspflicht nicht
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