Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
schon die eine oder andere Schramme eingefangen, wenn sie ungnädiger Laune war.
»Ah, Sie schmusen mit Mirabelle«, raunte eine leise Stimme neben ihm, und die Schwarze legte die Ohren an. »MouMou, Belami, vite, vite, vite!«, lockte die junge Frau im grauen Kleid die beiden anderen und stellte eine flache Schale neben dem Brunnen auf den Boden. Während sie ihren Eimer mit Wasser füllte, schlappten drei Zungen genussvoll die Milch auf.
»Sie hatten bereits Fisch heute Abend.«
»Hoffentlich hat die Concierge Sie nicht erwischt. Mit mir hat sie heute wieder gezankt, die alte Vettel. Sie will, dass die Katzen Mäuse jagen, und sie meint, das machen sie besser, wenn sie hungrig sind. Aber ich finde, die Schönen brauchen hin und wieder etwas zum Naschen.« Sie strich sich eine blonde Locke aus der Stirn, die ihrem aufgesteckten Zopf entwischt war.
»Das wird sie daran hindern, sich einen anderen Hof zu suchen. Erklären Sie das der Concierge.«
Die junge Frau setzte sich unaufgefordert neben Cornelius. Er legte seine erkaltete Pfeife beiseite und nahm den süßen Duft von Maiglöckchen wahr. Ein Seitenblick verriet ihm dessen Herkunft. An ihrem Ausschnitt, der mit einem weißen Fichu bedeckt war, steckte ein Sträußchen dieser Frühlingsblumen.
»Die Marktfrau an der Ecke verkauft sie. Sie sind fast verwelkt, deshalb gab sie sie mir billig.«
Cornelius lachte. »War mein Blick so aufdringlich?«
»Nein, Ihr Schnüffeln. Sie sind neu hier, wohnen in Georges Zimmern, nicht wahr?«
»Ich muss es zugeben.«
»Und Sie sitzen jeden Abend hier, bis es dunkel wird.«
»Man beobachtet mich also?«
»Das ist so üblich. Man weiß voneinander, selbst wenn man nicht miteinander bekannt ist. Ich lebe seit drei Jahren hier. Dort, im ersten Stock. Neben mir wohnen Rose, Violette und Blanche.« Sie kicherte. »Die drei Couleurs nennt man sie. Sie arbeiten in einer Munitionsfabrik. Die da singt, ist Gabrielle, sie ist Straßensängerin mit Nebenverdienst. Die Socken auf der Wäscheleine bedecken üblicherweise Bertrams Füße, der in den Markthallen Gemüse verkauft. Wir erhalten billig Kohl von ihm. Die Kräuter gehören dem verrückten Märzhasen, einem Engländer, der Kunst studiert und versucht, hinter die Geheimnisse unserer Küche zu kommen. Er hat die halbe Mansarde gemietet und als Atelier eingerichtet. Die Couleurs und ich sitzen ihm Modell, wenn wir knapp bei Kasse sind.«
»Vermutlich in delikaten Posen.«
»Paradiesisch zumeist. Aber er liebt die jungen Männer, also ist es harmlos. Daneben haust ein Medizinstudent, dem alle Hausbewohner zu Versuchen zur Verfügung stehen. Er klaut für uns Verbände, Salben und Jod im Hospital, und wir bringen ihm dafür hin und wieder Brot und Käse mit. Wir sind eine friedliche Kommune.«
Ein lautstarker Streit zwischen einem Mann und einer Frau drang aus einem der Parterrefenster, und Cornelius ergänzte trocken: »Was nicht bei jedem funktioniert.«
»O doch. Das sind Melitta und Jean Baptiste, die ihre Rollen einüben. Odéon, wissen Sie.«
»Stimmt, wenn man genauer hinhört, erschließt sich das.«
»Sie sind zu Besuch in Paris, ein gebildeter Mann mit guten Beziehungen zur Universität, aber kein Wissenschaftler. Sie stammen aus dem Norden und haben Heimweh.«
»Ich danke Ihnen für das Kompliment. Ich spreche Ihre Sprache ganz gut, wenn auch mit einem Akzent, den meine Freunde hier geflissentlich überhören. Ich stamme aus deutschen Landen, genauer gesagt, aus Köln.«
»Dann, Monsieur, müssen Sie eine sehr gute Freundin haben, die Sie unsere Sprache lehrte.«
Cornelius lachte und schüttelte den Kopf.
»Nicht ganz so, aber es kommt der Sache nahe. Ich lebte einige Jahre in der Bretagne. Jetzt bin ich Verleger und auf der Suche nach lehrreichen Manuskripten.«
»Daher die Unterkunft bei unserem Professeur, wir nennen ihn so, obwohl er nur als Pauker arbeitet und arme Studenten piesackt.«
»Er würde sich selbst wohl als Tutor bezeichnen, aber ich kenne ihn kaum. Sie kenne ich auch nicht, aber ich erlaube mir, eine ähnliche Beschreibung zu wagen, wie Sie es eben taten. Sie sind eine berufstätige Frau, vermutlich im Textilgewerbe, Ihre Familie stammt aus einem kleinen Ort in der Nähe von Paris, und Sie vermissen manchmal die ländliche Umgebung.«
»Nicht schlecht, Monsieur, nicht schlecht. Die Maiglöckchen verrieten mich?«
»Und ihre Zuneigung zu den Katzen.«
»Ich heiße Monica, aber meine Freunde nennen mich Mona.«
»Ich heiße Cornelius
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