Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Scheibe.
»Was ist denn los, Sarah Susanne?«
Im vergangenen Sommer, in dieser glücklichen Zeit, hatten sie die Förmlichkeiten aufgegeben, doch als Cornelius aus Paris zurückgekommen war, hatte er mit nicht geringer Überraschung zur Kenntnis genommen, dass Susanne den Sohn des Bürgermeisters geheiratet hatte. Bei ihrem nächsten Zusammentreffen bedienten sie sich, unabgesprochen, beide wieder der förmlichen Anrede und tauschten lediglich einige höfliche Phrasen aus. Cornelius hegte so seine Zweifel, ob die Entscheidung beider eine besonders glückliche war. Philipp, dem er auch in reinen Männergesellschaften begegnet war, dünkte ihm nicht das Musterbild eines Ehegatten. Er hatte eine ausgeprägte Neigung zu leichten Hemdchen, vor allem, wenn der Duft der Theaterschminke an ihnen haftete. Ansonsten hielt er ihn nicht für ein besonders helles Licht. Dagegen war er von Susannes künstlerischer Begabung durchaus überzeugt. Und nun saß sie hier und kämpfte mit den Tränen.
»Ich hole dir eine Sänfte und begleite dich nach Hause. Bleib hier sitzen, Susanne. Du bist nicht mehr ganz standfest auf den Beinen.«
Sie hatte ein Tüchlein aus ihrem Retikül gezogen und presste es sich an die Lippen, nickte aber zustimmend. Kurz darauf ging sie, von ihm unauffällig gestützt, zum Ausgang. Cornelius begleitete zu Fuß die Sänftenträger und achtete darauf, dass sie das Haus betrat.
»Bleib bei mir, Cornelius. Ich will jetzt nicht alleine sein.«
»Es gehört sich nicht.«
»Ach, nichts gehört sich! Komm mit ins Musikzimmer.«
»Also gut. Lass uns einen starken Tee oder Kaffee bringen.«
Mit einer herrischen Handbewegung scheuchte Susanne den Diener fort und schloss die Tür hinter ihnen.
»Nein. Sie bespitzeln mich alle.«
»Glaubst du wirklich?«
»Vielleicht spinne ich auch nur.«
Sie zog die langen Ballhandschuhe aus und legte sie auf den Flügel.
»Warum sollten sie dich bespitzeln?«
»Weil Philipp geradezu krankhaft eifersüchtig ist.«
»Dann wird er dir wegen meines Besuches wieder eine Szene machen. Ging es darum, vorhin im Ballsaal?«
Susanne nickte. »Den Oberst habe ich früher oft im Laden getroffen. Er hat immer mit Antonia gefachsimpelt und mir manchmal Komplimente gemacht. Er ist nett, aber harmlos. Warum soll ich nicht mit ihm tanzen? Ich kann doch nicht wie eine Matrone in der Ecke sitzen bleiben.« Sie ließ sich auf eine Chaiselongue fallen und löste den hohen Knoten. »Es ziept«, erklärte sie und begann, sich einen losen Zopf zu flechten. »Das macht diese dumme Kuh von Kammerfrau extra.«
Cornelius fühlte sich nicht wohl, die Situation begann, sich in eine gefährliche Richtung zu entwickeln. Er hoffte nur, Philipp möge sich an den Spieltisch begeben haben und nicht sofort erfahren, dass sein Weib die Veranstaltung mit ihm verlassen hatte. Wenn er jetzt eintrat und Susanne mit gelösten Haaren antraf, musste es Ärger geben. Trotzdem, es interessierte ihn, was sie bedrückte.
»Susanne, warum hast du Philipp geheiratet?«
»Eine sehr gute Frage, Cornelius.« Die Bitterkeit in ihrer Stimme ließ ihn das Schlimmste befürchten.
»Ich gehe jetzt besser«, erklärte er und erhob sich.
»Nein, Cornelius. Ich würde dir die Frage gerne beantworten. Und mir auch«, fügte sie leise hinzu.
Also setzte er sich und schlug die Beine übereinander.
»Er hat mich zwei Jahre lang mit seinen Anträgen verfolgt. Meine Großeltern haben mehr als einmal angedeutet, was für eine gute Partie er sei.«
»So leicht hast du dich mürbe machen lassen?«
»Zermürbt, ja das ist wohl das richtige Wort für meinen Zustand.« Sie schlug wieder die Hände vor dem Gesicht zusammen und atmete schluchzend ein. Dann ließ sie die Hände sinken und schaute ihn mit einem unsagbar kummervollen Blick an. »Ich war plötzlich so alleine, Cornelius. David war abgereist, du bist nach Paris gefahren, Antonia zog fort. Sogar François war so beschäftigt, er hatte kaum noch Zeit für einen Spaziergang. Philipp war der Einzige, der sich um mich gekümmert hat.«
Cornelius bemerkte nichts dazu. Er erinnerte sich nur zu gut an seine Rückkehr im Juli und das Entsetzen, als Elena ihm mitteilte, seine Schwester sei zu ihren anderen Brüdern nach Darmstadt gezogen. Das war das erste Mal, dass er seine Stiefmutter am liebsten geschüttelt hätte. Aber sie jammerte: »Sie mag mich nicht, Cornelius, was sollte ich denn tun? Sie hat mir diesen Brief hiergelassen und sich einfach davongemacht. Aber wenigstens hat
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