Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
eine Tragödie mag sich hier abgespielt haben?«, fragte Antonia. »Verließ Medea das Haus des Pelias, nachdem sie ihren Gemahl in den falschen Kräutern kochte?«
»Du hast zu viele von diesen griechischen Geschichten gelesen, Toni. Obwohl eine Ähnlichkeit besteht. Ich vermute, das Weib war die Köchin. Dem Duft aus der Küche nach jedoch keine besonders begabte.«
Antonia näherte sich dem beleibten Mann und tippte ihm auf die Schulter. »Bei Ihnen brennt etwas an, Bärenwirt.«
»Und wenn schon. Den Fraß kann sowieso keiner zu sich nehmen«, stöhnte er und sah hoch. »Gibt heute nichts zu essen hier, junger Mann.«
Sie bückte sich nach dem Schinkenknochen, der ihm als Wurfgeschoss gedient hatte, und schüttelte den Kopf.
»Klar, wenn Sie damit die Köchin verprügeln, statt ihn in die Suppe zu legen. Maddy, schauen wir mal, was wir retten können.« Sie gingen, ohne auf eine Einladung des Wirtes zu warten, in das Gasthaus und folgten dem angebrannten Geruch. Nachdem sie einen Kessel Grütze mit der Bemerkung, damit könne man eher schadhafte Wände verputzen als Menschen ernähren, in den Kompost entleert hatten, fragte Antonia den Wirt: »Haben Sie noch so einen Schinken?«
»Ja. Schneiden Sie sich ein Stück davon ab, wenn Sie hungrig sind. Brot von gestern ist auch noch da.«
»Sie haben auch noch einen Sack Kartoffeln hier stehen. Zwiebeln, Möhren und Porree wachsen in Ihrem Garten. Wie viele Gäste haben Sie zu füttern?«
»Was soll das, junger Mann?«
»Nicht junger Mann, Sie blinder Tanzbär, sondern Fräulein Antonia!«, herrschte Maddy den niedergeschlagenen Wirt an. »Sie ist eine ausgezeichnete Köchin!«
»Quatsch! Nicht Fräulein Antonia, sondern Toni. Und? Soll ich Ihnen eine Kartoffelsuppe kochen?«
Es sah sie verdattert an, dann grinste er gleichfalls. »Ich heiße Herbert, Fräuleins. Wenn Sie mir helfen wollen, soll’s Ihr Schaden nicht sein.«
»Haben Sie auch ein Zimmer für uns, Bärenwirt?«
»Sie können das von der Zeitlerin haben. Liegt hinter der Küche, hat einen eigenen Ausgang zum Garten. Berechne Ihnen nichts dafür.«
»Gut. Wir müssen ein paar Tage rasten. Ich koche für Sie.«
»Sie sind ein Geschenk Gottes«, stöhnte er auf. »Es kommen meist so um die zwanzig Mann, die einen herzhaften Bissen wollen. Packen Sie das wirklich?«
»Wenn genügend Vorräte da sind.«
Die Speisekammer war ziemlich geplündert, aber trotzdem schafften sie es, eine gehaltvolle Suppe zu kochen. Maddy hatte außerdem das ihnen zugewiesene Zimmer inspiziert und frische Laken und Decken angefordert.
Sechs Wochen lang waren sie unterwegs gewesen. Es dauerte bis Ende Juli, bis sie alle Antworten auf ihre Schreiben erhalten hatten, und so lange waren sie in Darmstadt geblieben. Die Rückmeldungen waren schleppend eingetroffen und nicht besonders ermutigend. Der Herzog von Arenberg hatte seinen Archivar antworten lassen, ein derartiges Pergament habe es nie gegeben. Von Nassau-Usingen kam der Bescheid, in der Residenz in Schloss Bieberich in Wiesbaden gäbe es keinerlei gotische Pläne, doch könnte sich in Nassau oder in Usingen ein solcher Plan unter den Archivalien befinden. Man sei aber mit dem Katalogisieren noch nicht weit vorangekommen. Einzig der Schatzmeister von Wied-Runkel glaubte, eine Architekturzeichnung gefunden zu haben, die interessant aussah, wenngleich er sie für jüngeren Datums hielt. Fall man sie in Augenschein nehmen wolle, möge man sich nach Dierdorf begeben. Ob sich in Neuwied oder Runkel, beides Residenzen des Fürsten, der gesuchte Plan befände, entzöge sich seiner Kenntnis.
Der General hatte angeboten, die Damen zu den Orten zu begleiten, doch als sie unter sich waren, beschlossen Antonia und Maddy einmütig, dieses Angebot abzulehnen. Antonia wollte sich ihm nicht noch weiter verpflichtet fühlen. Petershayn hatte nämlich angefangen, versteckte Bemerkungen über sein schönes, aber verwaistes Heim, seine behaglichen Einkünfte und die einsamen Stunden ohne weibliche Gesellschaft zu machen. Er brachte auch immer wieder kleine Geschenke mit und bat um ihre Begleitung zu allerlei kulturellen Ereignissen.
Jupp und Franz hatten ihren Brief erhalten, und schon drei Wochen später übergab der General Antonia ein Päckchen von ihnen. Es befand sich darin ein kurzes, von unbeholfener Hand verfasstes Schreiben und ein Beutel mit Goldfrancs. Franz teilte ihr mit, sie seien traurig drüber, was ihr passiert sei, und sie dürfe jederzeit zu ihnen kommen.
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