Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Wind das Tal hinunter. Die erste Etappe brachte sie bis Lahnstein, wo sie an einem hübschen Gasthaus Halt machten. Hier stellte beim Abendessen Susanne eine Frage, die ihre drei Begleiter zunächst in Verlegenheit brachte.
»Wenn ihr den Domplan findet, was macht ihr dann damit?«
»Ja – mhm«, sagte Antonia. »Also, ich würde ihn mir gerne genau ansehen, aber dann?«
»Er gehört dem Domkapitel«, stellte David fest.
»Aber das gibt es nicht mehr. Die wenigen Domherren, die noch leben, sind inzwischen im Greisenalter«, erklärte sie.
»Wenn wir ihnen den Plan übergeben, wird er in den Archiven verschwinden«, überlegte Cornelius. »Aber gerade das sollte nicht sein Schicksal sein. Er ist von Anfang an dazu bestimmt gewesen, der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden, damit sich die Menschen ein Bild von der fertigen Kathedrale machen konnten.«
»Ja, er muss der Welt zugänglich gemacht werden, damit der Streit darüber beendet wird, wie sich der erste Baumeister die Turmfassade vorgestellt hat«, stimmte David ihm zu. »Es gibt derzeit die unterschiedlichsten Auffassungen darüber, ob es eine Rosette geben sollte, ob die Türme flach oder behelmt sein sollten, wie hoch sie überhaupt geplant waren, und so weiter.«
»Dazu gibt es doch den Kupferstich von Crombach aus dem siebzehnten Jahrhundert, oder nicht?«
»Ach, Toni, es gibt genügend Architekten, die annehmen, auch der sei eine freie Erfindung. Nur die Originalpläne würden jeden Zweifel ausräumen.«
»Dann wäre also das Passendste, ihn einem der Männer zukommen zu lassen, die sich um den Weiterbau bemühen«, schlug Antonia vor. »Dieser Boisserée macht sich doch außerordentlich stark dafür.«
»Ganz richtig. Er – und der Architekt Georg Moller, den ich unbedingt aufsuchen möchte.«
»Nun, dann wird der Plan, falls wir ihn finden, das beste Empfehlungsschreiben sein, David, was du dir wünschen kannst.«
»Das wäre es vermutlich. Aber ich hoffe, auch ohne den Plan bei ihm Gehör zu finden. Ich habe mich zwar in den vergangenen Monaten mehr damit beschäftigt, Mauern einzureißen, aber ich habe mir bei Schinkel einige Kenntnisse zum Erhalt alter Bauwerke angeeignet.«
Am darauffolgenden Tag erreichten sie ohne Hindernisse Darmstadt am späten Nachmittag. Sie hielten am Gasthof »Zur Traube«, wo sie der Wirt Johann Fritsch mit zuvorkommender Freundlichkeit begrüßte und ihnen ihre Zimmer anwies.
»Der wird alles andere als freundlich sein, wenn wir ihm von unserer Absicht berichten, wir wollten seine Keller und Böden durchwühlen«, vermutete Antonia leise, und Cornelius lachte.
»Dann müssen wir ihn eben ein bisschen schmieren.«
Sie hatte ein Zimmer für sich, das direkt neben Davids und Susannes lag, Cornelius bezog eines am Ende des Ganges. Es war noch immer ein angenehmes Haus, wie schon bei ihrem ersten Besuch, und ein adrettes Zimmermädchen brachte ihr Waschwasser und einen Korb mit Pflaumen und Pfirsichen.
»Sie wachsen in unseren Gärten«, erklärte sie. »Wenn Sie aus dem Fenster schauen, gnädiges Fräulein, haben Sie einen Blick darauf. Und wenn Sie mögen, können die Herrschaften auch ihr Abendessen dort unter den Weinlauben einnehmen.«
»Eine reizende Idee. Bügeln Sie mir bitte das grüne Kleid auf. Ich will es gleich anziehen.«
Das Mädchen legte sich das besagte Gewand über den Arm und verschwand damit. Antonia legte ihren Reitanzug ab, den man zwar kommentarlos, aber mit befremdeten Blicken begutachtet hatte, und wusch sich Staub und Pferdegeruch ab. Sie zog sich sorgfältig an und steckte ihre kurzen Locken mit zwei Kämmen zurück. Als sie aus dem Fenster sah, entdeckte sie Cornelius mit David und Susanne bereits im Garten. Sie eilte nach unten, fand aber nur noch Cornelius vor.
»Die beiden Turteltauben wollen alleine die Stadt erkunden. Möchtest du auch irgendwo ein Lokal suchen, oder wollen wir hier speisen?«
»Es ist hübsch hier unter weinberankten Lauben. Ich erinnere mich, dass die Küche ganz vorzüglich ist.«
Es saßen schon vereinzelt Gäste an den gedeckten Tischen, und sie wählten ebenfalls einen von ihnen.
Trotz der lauschigen Stimmung fühlte Antonia sich seltsam beklommen. Es war ihrem Seelenfrieden überhaupt nicht bekömmlich, in einer warmen Sommernacht alleine mit Cornelius in einer Laube zu sitzen. Dankbar war sie daher, als der Wirt sie nach ihren Menuwünschen fragte und ihnen dann eine Karaffe Weißwein brachte. An dem Stiel des Glases konnte sie sich
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