Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
tief ausgeschnittenen, hauchdünnen Chemisen-Kleid hielt ein Glas Champagner in der Hand und sah ihn überrascht an. Auf dem Stuhl vor ihr saß ein Mann, dessen breiter Rücken mit einer grünen, mit Silberlitzen besetzten Uniform bedeckt war. Er drehte sich langsam um. Ein junger Offizier, kaum über zwanzig, mit glatten, dunklen Haaren, aristokratischen Zügen und einem feinen Oberlippenbart erhob sich auf geschmeidige Weise. Auch Charlotte erhob sich und schlängelte sich an Kormann heran, der steif und missbilligend im Türrahmen stehen geblieben war.
»Frédéric, wie schön, dass du schon zurück bist. Mein Lieber, du hast Besuch bekommen.«
»Ich gestehe, ich bin überrascht«, entgegnete er kühl. »Monsieur?«
Der junge Mann machte einen Schritt auf ihn zu und verbeugte sich mit fließender Eleganz. »Monsieur, Sie werden sich meiner nicht mehr erinnern können. Als wir uns begegneten, war ich eben sieben Jahre alt. Aber ich werde Sie nie vergessen, Monsieur Kormann. Sie haben mir und meiner Familie das Leben gerettet. Als ich erfuhr, dass Sie hier in Köln leben, musste ich Sie einfach aufsuchen, um Ihnen meinen Dank abzustatten. Belgien, Monsieur Kormann, einundneunzig. Mein Name ist Etienne de Nemours.«
Kormanns ablehnende Haltung schwand, ein Lächeln erhellte sein Gesicht, und er hielt dem Besucher die Hand hin. »Nemours? Ihr Vater ist der Comte?«
»Bedauerlicherweise ist der Titel inzwischen auf mich übergegangen, Vater starb vor zwei Jahren, noch im Exil. Aber er hat Sie nie vergessen. Ich habe es bereits Ihrer reizenden Verlobten erzählt, wie Sie uns damals vor den Häschern Robespierres versteckten und ein Schiff fanden, das uns nach England brachte. Eine Heldentat, Monsieur, bei der Sie ihr eigenes Leben in Gefahr brachten.«
»Nun, ich habe es überlebt. Genau wie Sie. Ich erinnere mich – auch ein kleines Mädchen war dabei. Ihre Schwester, nicht wahr?« Kormann wies mit einer Hand auf die Sitzplätze und ließ sich in einem Fauteuil nieder. Charlotte füllte ein Glas mit Champagner und reichte es ihm.
»Therese-Marianne, ja, meine Schwester. Ah, sie ist der Grund, warum ich nach Köln gekommen bin. Sie hält sich gegenwärtig mit ihrem Gatten hier auf.«
»Sie ist schon verheiratet? Sie schien mir jünger als Sie.«
»Die Umstände, Monsieur, die Umstände. Uns hat dieser unsägliche Aufstand ein Vermögen gekostet. Unser Familiensitz wurde geplündert und befindet sich in einem desolaten Zustand, unser Hôtel in Paris wurde besetzt, andere Liegenschaften verwahrlosten. Therese aber erregte die Aufmerksamkeit eines Lyoner Seidenhändlers. Bürgerlich, nun ja, aber bestrebt, seiner Familie durch eine Nemours Glanz zu verleihen. Dafür ist er bereit, sein nicht unbeträchtliches Vermögen in die Restaurierung unseres Familiensitzes zu investieren.«
»Ein Seidenhändler, der die feinsten Stoffe aus Lyon liefert, Frédéric. Die Qualität, die man neuerdings bei Hofe trägt. Ob wir ihn nicht einmal aufsuchen sollten? Mein Hochzeitskleid sollte nicht aus einfachem Baumwollbatist gefertigt werden.« Verschwörerisch zwinkerte Charlotte Kormann zu, der ihren Gedanken nur mit Bewunderung folgen konnte.
»Es wäre mir ein ausgesuchtes Vergnügen, Mademoiselle, Sie und Monsieur, wann immer sie wünschen, mit meinem Schwager bekannt zu machen. Ich bin sicher, er wird Ihre Wünsche erfüllen können.«
»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Comte. Wir werden bestimmt auf dieses Angebot zurückkommen. Sie selbst sind der Grande Armée beigetreten, wie ich sehe?«, fragte Kay Friedrich.
»Der Korse wünschte ein Elitecorps, und so trat ich den Gendarmes d’Ordonnance bei.« Das klang, bezogen auf den französischen Kaiser, den der junge Aristokrat »den Korsen« nannte, recht abfällig. Kormann registrierte es zufrieden. Eine nicht allzu kaisertreue Gesinnung würde es leichter machen, seine wertvolle Konterbande an den Mann zu bringen. Man tauschte weitere Höflichkeiten aus, dann erhob sich der Comte, um sich zu verabschieden.
Als er gegangen war, lachte Kormann leise auf und zog Charlotte an sich.
»Nützlich, Weib, sehr nützlich.«
Sie schnurrte: »Lyoner Seide...«
»Gegen indischen Musselin. Du wirst ein prächtiges Hochzeitskleid bekommen. Und eine hübsche Ausstattung für die Zeit danach.«
Sie machte sich los und lehnte sich gegen das hohe Kopfende der Chaiselongue.
»Was hast du denn damals für Heldentaten vollbracht, Frédéric? Der Junge hat mich richtig neugierig
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