Kreuzdame - Köln Krimi
müssten.
Johannes erwiderte: »Aber du musst doch auch sehen, wie froh die Leute zuerst mal sind, dass sie keine Schmerzen mehr haben. Die Müdigkeit wird man in den Griff kriegen, auch die Übelkeit. Wenn man den Leuten auch noch sagt, dass diese Mittel nicht zur Abhängigkeit führen, dann kommen sie vielleicht auch besser mit den Nebenwirkungen klar.«
Solche Gespräche entsprachen der Gewohnheit eines langen gemeinsamen Lebens als Mediziner und Freunde; es lag etwas Vertrautes darin, etwas, das mich für eine Weile das Entsetzliche vergessen ließ.
Doch dann wollte Karin nach Hause, und Karlheinz stand sofort auf und verabschiedete sich, auch Johannes erhob sich und folgte den beiden zur Tür. Es kam mir vor, als ob er sich davor fürchtete, mit Martin und mir allein zu bleiben.
Ich sah vom Küchenfenster aus, wie Karin und Karlheinz in ihr Auto stiegen und losfuhren. Als Letzte in unserer Clique hatten sie sich das Jawort gegeben, nur im Rathaus, aber dort war Karin in strahlendem Weiß erschienen. »Der Unschuld wegen«, hatte Klaus lachend gerufen, aber Karin hatte sehr ernst ausgesehen, und so hatte sich Klaus jeden weiteren Kommentar verkniffen. Mit Kirche habe er nichts am Hut, hatte Karlheinz uns wissen lassen, und Karin hatte sich gefügt. Die Feier war trotzdem himmlisch gewesen, in der Wolkenburg, mitten in Köln, mit perfekter Dekoration und einem wundervollen Feuerwerk im Innenhof. Bis in die Morgenstunden hatten wir getanzt. Am folgenden Tag hatte ich mein erstes Kind zur Welt gebracht.
Danach entstand mein Traum von der großen Familie, deren Mittelpunkt ich sein wollte, belastbar, fröhlich und allem gewachsen. Wie früher meine Mutter, die ihr kleines Leben mit Energie ausgefüllt hatte, mit Begeisterung für jeden, mit dem sie in Kontakt kam, immer gut gelaunt und geschäftstüchtig. Der Elektroladen unten im Erdgeschoss war ihre Domäne, hier schaltete und waltete sie und beriet die Kunden so gut, dass kaum einer anders konnte, als das, was sie ihm angeboten hatte, zu erwerben oder einen Ratenvertrag zu schließen für den Fernseher, die Musiktruhe, die Infrarotlampe oder den Eisschrank. Mein Vater startete morgens mit seinem Fiat 500 Topolino und fuhr zu den Kunden, schloss neue Geräte an, reparierte die alten, und wenn er müde heimkam, freute er sich über den Umsatz, den unsere Mutter gemacht hatte.
Im Sommer, wenn Charlotte und Co. auf Norderney oder auf Sylt Urlaub machten, fuhren wir nach Italien, ans Meer, aßen Pasta, Pizza und gelati und kamen braun gebrannt nach Hause zurück. Einmal wurde meine Schwester Miss Riccione, und danach gab es einen jungen Italiener aus Modena, der ihr lange Briefe schrieb, die sie nicht verstand, und so meldete sie sich in der Volkshochschule für den Italienisch-Anfängerkurs an. Die große Zahl Lernwilliger ließ vermuten, dass es noch viele andere gab, die Italien und seine Einwohner liebten. Doch als der Lehrer auch nach mehreren Wochen seinem Kurs nicht sehr viel mehr als einfachste Worte beigebracht hatte, mit denen meine Schwester die Briefe aus Modena nicht beantworten konnte, und als dann auch noch eine Schülerin partout nicht verstand, warum es la finestra hieß, wenn doch das Fenster gemeint war, ließ meine Schwester den Kurs sausen.
Jahrelang schliefen Isabella und ich in einer Kammer, die vom Wohnzimmer abgetrennt war und in die erst frische Luft kam, wenn unsere Eltern zu Bett gingen, unsere Tür aufmachten und das Wohnzimmerfenster öffneten. Wir dachten nie darüber nach, dass es anders sein könnte, dass es bessere und größere Wohnungen gab, obwohl wir längst auf der Ursulinenschule mit Mädchen aus wohlhabenden Familien Freundschaft geschlossen hatten. Erst als meine Schwester dreizehn wurde und ich zwölf, baute unser Vater das Dach aus. Von da an hatten wir ein eigenes Zimmer, das nur uns gehörte, mit Waschbecken und Dusche. Wir fühlten uns wie die Reichsten der Reichen, wie solche, die wir im Kino sahen oder von denen wir in Büchern lasen.
Vor meiner Hochzeit war meine Mutter zum ersten Mal nicht zum Schulte gegangen, dem Friseur nebenan, der ihren Kopf kannte und dem sie blind vertraute, diesmal fuhr sie mit dem Taxi auf die andere Rheinseite zu einem Nobelfriseur, zu dem die Frauen der Professoren und Ärzte gingen und so mancher der Stadtprominenz. In diesem edlen Salon ließ sie sich für viel Geld einen Schnitt zaubern, von dem nicht nur mein Vater begeistert war. Immerhin würde diese Schönheit auf den
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