Kreuzdame - Köln Krimi
weiter mithören? Ich entschied mich dagegen, ging ins Wohnzimmer, stellte Musik an und blickte in ein Buch, dessen Inhalt mir fremd blieb. Meine Gedanken kreisten um Martin und Herrn Weber, um den Brief und das Telefonat, von denen ich nichts wissen sollte. Hatten wir uns nicht Offenheit versprochen, Ehrlichkeit und keine Geheimniskrämerei? Wie lange war das her? Wann waren wir uns noch so nahe gewesen, dass wir über unsere Gefühle, über unsere Träume miteinander reden konnten? Es war, als hätte sich ein tiefer Graben aufgetan, ein Abgrund, eine Schlucht zwischen seinem Leben und meinem, und ich spürte, dass mir die Kraft fehlte, diese Kluft zu überbrücken.
Eine Viertelstunde später hörte ich Martin die Treppe herunterkommen. Im Flur rief er: »Bis heute Abend«, dann fiel die Haustür ins Schloss.
Der Leichnam wurde auch am nächsten Tag nicht freigegeben. Warum, wussten wir nicht. Karin vermutete, die Trennung von seinen beiden Frauen habe ihn depressiv gemacht, er habe wahrscheinlich Medikamente genommen und sei, völlig benebelt, in die Leitplanke gekracht. Charlotte bestritt das vehement. Er sei ein so wunderbarer Mann gewesen, dass er schnell Ersatz gefunden hätte, wenn er nur gewollt hätte. Wenn ich an meine eigene innere Leere dachte, war ich geneigt, Karins Traurigkeitsversion jedenfalls nicht auszuschließen. Die Männer allerdings diskutierten über handfestere Ursachen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Sekundenschlaf, vielleicht auch nur eine kurze Unaufmerksamkeit, als das Handy geklingelt oder Klaus eine neue CD eingelegt hatte.
»Es kann viel passieren, wenn man in schnellem Tempo über die Autobahn jagt, immer auf der linken Spur, mit Lichthupe und dem Ehrgeiz eines Draufgängers«, sagte Karlheinz wieder mit diesem Unterton, in dem keine Freundschaft mitschwang.
Martin wollte lieber an ein Hindernis auf der Fahrbahn glauben oder an Aquaplaning, zumindest so lange, bis etwas anderes festgestellt worden war, und ich dachte, dass er mehr wusste, als er sagte.
Tags darauf stand alles im »Express«, auf der ersten Seite, fettgedruckt und unübersehbar: »Klaus Bender vom Sockel gestürzt! Klaus Bender, der vor wenigen Tagen tödlich verunglückte Schönheitschirurg, ist offenbar einem Racheakt zum Opfer gefallen. Wie aus zuverlässigen Kreisen zu erfahren war, lief ein Strafverfahren gegen Klaus Bender. Er hatte bei der Operation von Jennifer M. gepfuscht und versucht, sich dem Prozess zu entziehen. Jennifer M. soll ihn mehrfach angerufen und bedroht haben. Hat sie ihren Worten Taten folgen lassen? Fest steht: Die Bremsen am Fahrzeug des Toten waren nicht einwandfrei benutzbar, die Leiche weist unübersehbare Spuren von Gewaltanwendung auf. Offiziell will sich die Polizei dazu jedoch nicht weiter äußern.«
Das war zwar nicht sehr viel mehr, als ich beim Lauschen mitgekriegt hatte, aber da es jetzt in der Zeitung stand, konnte ich Martin bei der nächsten Gelegenheit darauf ansprechen.
Der Herbst hatte sich noch einmal mit Sonnenschein geschmückt, der vom blauen Himmel herabstrahlte und, wie mir schien, die Stimmung sanfter färbte.
Am nächsten Freitag saßen wir endlich um unseren Esstisch herum, aßen Gulasch mit Röggelchen und dann Schokoladencreme zum Dessert, jedoch ohne die sonst üblichen genießerischen Kommentare und ohne Lachen und Frotzeln. Später fehlte ein Mann fürs Doppelkopfspielen, und weil wir Frauen unser Anrecht auf Rainer verteidigten, entschieden sich die Männer für Skat und droschen bald laut lachend die Karten. Auch an unserem Tisch war die Stimmung nach anfänglicher Stille schließlich fast wie immer. Ein Außenstehender hätte nicht erkennen können, dass sich zwischen dem letzten Mal und jetzt ein Unglück ereignet hatte.
Nur einmal waren meine Gedanken so weit fortgeschlichen, dass ich nicht mitbekam, wer mein Mitspieler war. Die Kreuzdame war längst gefallen, ohne dass ich sie wahrgenommen hatte, und als ich meinen Fuchs dem Falschen hinwarf, musste ich mir von Karin eine Menge Vorwürfe anhören. Später, am Wohnzimmertisch, tranken wir die letzte Runde, und dort kam dann doch die Rede auf den Zeitungsbericht und wieso niemand vorher davon gewusst hatte, von dieser Frau und überhaupt. Ich sah Martin an, aber der schwieg. Als es danach um die Anzeige ging, die wir längst hätten aufgeben müssen, auch wenn der Beerdigungstermin noch immer nicht feststand, und Johannes meinte, das sei doch eher Sache der Familie, obwohl keiner von uns wusste,
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