Kreuzdame - Köln Krimi
Charlotte hatte sich gemeldet, allerdings nur mit ihrem Namen und einem zaghaften »Hallo«. Der dritte Anruf war von meiner Schwester, die ankündigte, dass sie um halb fünf auf einen Sprung vorbeikommen werde.
Es war fünf vor halb. Ich zog die Jacke aus und die Stiefel. Guckte die Post durch und wartete. Sie kam um zwanzig vor fünf und fragte, ob wir ein Stück spazieren gehen könnten, sie könnte ein bisschen frische Luft brauchen, und vielleicht hätte ja auch ich ein bisschen Wind um die Nase nötig. Doch dann sah sie mich an und sagte: »Da sieh mal einer an, was eine solche Hiobsbotschaft für Auswirkungen haben kann! Meine kleine Schwester ist aufgeblüht, sieht aus wie ein Star und auf jeden Fall zehn Jahre jünger als gestern Morgen.«
Wir gingen schweigend bis zum Wald. Dort fragte mich meine Schwester Isabella vorsichtig, wie ich mich fühlte, und ich blieb abrupt stehen und sah sie an. »Wie ich mich fühle? Blendend. Mein Mann hat einen Sohn mit meiner ehemals besten Freundin, und ich bin hocherfreut. Vielleicht tauchen ja noch andere Kinder auf. Wer weiß, mit wem er sonst noch geschlafen hat, vielleicht mit der Nachtschwester oder mit seiner Assistenzärztin, vielleicht mit Karin, vielleicht sogar mit dir. Ich traue ihm alles zu, wirklich alles.«
Meine Schwester schien einen Moment überrascht zu sein von meinem heftigen Ausbruch, doch dann meinte sie mit einem kleinen Lächeln: »Gar keine schlechte Idee, ich finde Martin sehr liebenswert. Vielleicht verführe ich ihn doch mal, wenn du die Dinge so locker nimmst.«
Ich trat wütend gegen einen herabgefallenen Ast und geriet dabei ins Stolpern. »Du hast es gewusst, nicht wahr?«, fuhr ich sie an. »Von Klaus oder von Martin, wer hat es dir gesagt?«
»Ich wusste es genauso wenig wie du und wie alle anderen. Klaus gab mir die CD mit der Bitte, sie gut aufzuheben. Sie war in Folie verschweißt. Ich habe sie bis gestern Morgen nicht angehört. Britta, jetzt hör doch mal auf, dir leidzutun. Es gibt Dinge im Leben, die passieren. Natürlich ist es eine Riesenenttäuschung, wenn der eigene Mann mit so einer Nachricht hinterm Busch hält. Klar verstehe ich dich. Aber die Geschichte ist fünfunddreißig Jahre her, ihr wart noch nicht lange zusammen, es war noch nichts Ernstes. Und du warst ja auch keine, die einen Jungen direkt an sich ranließ, du warst, wie soll ich sagen, ein bisschen scheu. Ich will das jetzt nicht rechtfertigen, aber versetz dich mal in Martins Situation. Da kommt eine wie die Anna, mit allen Wassern gewaschen, und lädt ihn ein. Welcher Junge von Anfang zwanzig lässt sich eine solche Möglichkeit entgehen?«
»Du hast überhaupt keine Ahnung! Du bist nicht verheiratet, du lebst mal mit diesem, mal mit jenem. Wenn es vorbei ist, ist es eben vorbei, so läuft das bei dir. Ich habe Martin geheiratet, weil ich geglaubt habe, er liebt mich, so wie ich ihn. Wir haben vier gemeinsame Kinder.«
»Ja klar, aber es ist nun mal so, wer sich auf das Leben einlässt, läuft immer auch Gefahr, verletzt zu werden. Und auch wenn es nur ein schwacher Trost ist: Es gibt ja noch andere, die eine böse Überraschung erlebt haben. Denk doch mal an Karin.«
»Oder an Charlotte«, sagte ich und biss mir auf die Lippen. Aber da war die Schleuse schon zu weit offen, und ich erzählte Isabella, wie ich Johannes und Rainer gesehen hatte, und das versetzte selbst sie in Erstaunen.
»Nein!«, rief sie und blieb stehen. »Das glaub ich jetzt nicht. Johannes und Rainer ein Paar? Weiß Charlotte davon?«
»Natürlich nicht«, antwortete ich, »und ich weiß nicht mal, ob ich ihr davon erzählen soll. Vielleicht habe ich da zu viel hineininterpretiert, vielleicht sind sie nicht mehr als gute Freunde.«
Wir waren wieder zu Hause angekommen. Vor unserer Tür lag ein großer Blumenstrauß. Mein Herz begann einen Dauerlauf. Wollte Martin mich so zurückgewinnen, mir seine Liebe und seine Reue zeigen? Mit zitternden Fingern faltete ich das Kärtchen auf, das an dem Strauß hing. »Mit herzlichem Gruß von Klaus, der hoffentlich jetzt im Himmel wohnt«, stand darauf.
»Ach ja«, sagte meine Schwester und lachte. »Das habe ich heute Mittag in Auftrag gegeben. Eine nette Idee, finde ich, und ich hoffe, sie freut dich.«
Ich nickte und fragte sie, ob sie noch auf einen Kaffee hereinkommen wollte, was sie ablehnte. Sie müsse noch einmal in die Kanzlei, sagte sie. Ich schloss die Tür auf und ging ins Haus. Die prachtvoll gefüllte Vase, die ich wenig
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