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Kreuzdame - Köln Krimi

Kreuzdame - Köln Krimi

Titel: Kreuzdame - Köln Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Gewinner. Dies war eine Tragödie mit ungewissem Ausgang, der Autor verschwieg uns das Ende der Story, und wir, die er für dieses Stück engagiert hatte, mussten abwarten.
    Wir blieben den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich schlich immer wieder in Charlottes Zimmer und beobachtete sie im Schlaf. Draußen erzählte uns Johannes seine Geschichte.
    »Wisst ihr, wie das ist?«, begann er. »Kann sich das einer vorstellen? Jeden Tag Frauen, dicke und dünne, kurze und lange, alte und junge, schlaue und dumme, nette und welche, die du am liebsten gleich wieder wegschicken würdest. Und alle zeigen sie dir ihr Intimstes, lassen dich in sich hineinsehen, lassen dich die Brüste befühlen, sehen dich abwartend an. ›Ist da was, Herr Doktor?‹ ›Nein, alles in Ordnung, Frau Müller, Frau Meier, Frau sowieso.‹ Und dann abends Charlotte, die über ihren Entwürfen hockt, Zeichnungen vervielfältigt, retuschiert, mir erzählt, welches Bild an diesem Tag verkauft wurde, welches eventuell ins Museum kommt und dass sie im Herbst in New York eine Ausstellung hat. Charlotte, die sich dann vor mir auszieht, mich ansieht mit ihren schönen Augen … Und plötzlich schoben sich die vielen anderen vor sie, die Knotenbrüste, die grauen Intimzonen, denen ich mich täglich widmete, wo ich Abstriche machte und Diagnosen erstellte. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als immer nur an Frauenkörper. Ich spürte keine Erregung mehr, wenn ich Charlotte berührte. Ich war wie tot.«
    Er verstummte plötzlich und sah uns an, als bereute er das eben Gesagte, als bitte er uns, alles wieder zu vergessen, alles von unserer Festplatte zu löschen, damit der Glanz erhalten blieb, damit er der sein konnte, der er gewesen war und sicher auch bleiben wollte: Johannes Brandes, der Frauenversteher, der Vertraute der Upperclass, dem die Damen der Gesellschaft ihre intimsten Geheimnisse offenbarten, ihre Wünsche und unerfüllten Sehnsüchte.
    Doch dann redete er weiter, vielleicht um sich selbst zu befreien von diesem immensen Druck, der auf seiner Seele lag.
    »Es war im Sommer, ziemlich schwüles Wetter, ich schlenderte am Rhein entlang, durch die Altstadt. Ich war so verzweifelt, dass ich überlegte, einfach wegzugehen, alles im Riss zu lassen und irgendwo neu anzufangen, irgendetwas, vielleicht am Meer Boote zu vermieten, ein Zimmer mit Blick auf die wogenden Wellen. Und plötzlich stand Rainer vor mir, mit zwei Freunden. ›Hallo‹, rief er, ›was machst du denn hier?‹ Und ich antwortete: ›Brauchte ein paar kurze Atemzüge frische Luft.‹ Er stellte mich seinen Freunden vor, und dann gingen wir auf ein Kölsch in eine Pinte, die offenbar nur von den Szeneleuten besucht wird.«
    Er machte eine Pause, wie um sich zu erinnern, um noch einmal nachzudenken, was damals genau geschehen war, und sprach dann sehr leise weiter. »Da war ein anderes Licht, eine andere Erotik, etwas Knisterndes, fast Verruchtes, aber in jedem Fall Verbotenes, und gerade das schien mich wieder lebendig zu machen. Ich will nicht sagen, dass ich mich plötzlich schwul fühlte, nein, es war nur … Die Lust war wieder da, ich spürte mich. Wir tranken eine Menge an jenem Abend, und Rainer nahm mich mit in seine Wohnung. Ich weiß nicht mehr viel von dem, was geschah, aber Rainer hatte mich in der Hand. Er versprach, kein Wort zu niemandem, vor allem nicht zu Charlotte. Aber er wollte mich regelmäßig sehen.«
    Ich fragte mich, warum die Schuld immer bei anderen liegen sollte, warum sich jeder hinter einem anderen versteckte und keiner sich zum mea culpa , meine Schuld, bekannte. Ich wusste nicht, wie viele Gynäkologen in dieser Stadt praktizierten, Frauenärzte wie Johannes, die Tag für Tag Frauen untersuchten, mit ihnen sprachen und sie berieten. Aber ganz sicher war das für die anderen kein Grund, ihr Leben und vor allem ihre Sexualität so entscheidend zu verändern. Johannes hatte sich für diese Fachrichtung entschieden, niemand hatte ihn dazu gezwungen, Frauenarzt zu werden. Und nun? Wie, dachte er, sollte es weitergehen? Und wie war Charlotte dahinter gekommen?
    »Eigentlich hatte ich gerade gehofft, alles würde wieder gut werden«, meinte Johannes mit einem traurigen Lächeln. »Charlotte hatte sich ja aus dem ganzen Kunstbetrieb zurückziehen wollen, und danach würde Rainer überflüssig werden. Mir war es einerlei, ob sie malte oder nicht, im Grunde hatte ich sogar die Hoffnung, dass sie, wenn sie etwas änderte in ihrem Leben, für mich wieder

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