Kreuzdame - Köln Krimi
werde eine neue Richtung einschlagen, etwas, das sie zufrieden machen werde, das anderen zum Guten gereiche.
»Da staunst du, nicht wahr?«, fragte sie. »Charlotte, die immer berühmt sein wollte, immer mehr haben wollte. Erfolg und Reichtum und Schönheit, auf diesen Dreiklang war ich festgenagelt. Aber ich habe mich losgeschraubt, es hat mich fast zerrissen, aber jetzt bin ich frei, frei für mich und mein Leben.«
»Gehören wir nicht mehr dazu?«, fragte ich betroffen. »Das hört sich an, als ob du allein sein willst, als ob es dir auf uns nicht mehr ankommt.«
»Nein«, sagte sie, »Freundschaften sind anders als die Liebe. Freundschaften können viel mehr ertragen, mehr verkraften, sie bleiben fürs Leben, das hoffe ich jedenfalls.« Sie sah mich an, mit einem kleinen Zweifel in den Augen, den ich mit einer herzlichen Umarmung zu zerstreuen versuchte.
Kurz nachdem ich zurückgekehrt war, rief Carolin an. Sie hatte sich von Lukas getrennt. Er hatte ihre Traurigkeit nicht ertragen, hatte gleich ein neues Kind zeugen wollen und nicht begriffen, dass sie erst einmal Abstand brauchte und den Abschied verkraften musste. Ich bot ihr an, wieder bei uns einzuziehen, und das tat sie auch. Sie schlüpfte unter unsere Fittiche und machte uns unversehens erneut zur Familie. Bald verstreute sie mit unnachahmlicher Lässigkeit ihre Sachen im Haus und hinterließ ihr Bad in einem Zustand, der mich zu täglichen Putzaktionen trieb. Aber vielleicht brauchte ich das sogar, um mich nicht nutzlos zu fühlen. Trotz der neuen Frisur, der schlankeren Körperformen und Martins Komplimenten kam ich mir älter vor als jemals zuvor. Die Zwillinge bekamen ihre ersten Anstellungen, einer in einer großen Anwaltskanzlei und der andere im öffentlichen Dienst. Unsere Kleine ging für ein Jahr nach Amerika und Martins Mutter ins Seniorenheim.
»Es ist, wie es ist«, sagte Martin, wenn ich erzählte, welches Chaos unsere Tochter hinterließ. »So ist das Leben eben!« Er lächelte und vertiefte sich wieder in seine Gutachten.
Und ich? Hoffte noch immer auf etwas, das mich heraushob aus dem Alltag, der sich erneut um mich auszubreiten begann. Nach den Aufregungen der letzten Wochen erschien mir die jetzige Stille noch unerträglicher, und manchmal wusste ich nicht mal mehr, wer ich wirklich war.
Gegen Ende November brachen Stürme über uns herein, Nebel und Regen. Die Sonne schien für immer hinter die Wolken zu kriechen, und als der Herbst in den Winter überging, hoffte ich auf die Lebendigkeit der leuchtenden Weihnachtszeit und dass im neuen Jahr alles besser werden würde.
Eines Tages stand Anna vor unserer Tür. Sie sah gut aus, deutlich besser als bei unseren letzten Begegnungen.
»Darf ich reinkommen?«, fragte sie, und als ich nickte, trat sie ein, zog ihren Mantel aus, und ich starrte auf das tief dekolletierte Kleid, mit dem sie ihre zurückgewonnene Weiblichkeit präsentierte. Sie war gut frisiert und erstklassig geschminkt, und ich wusste nicht, wie ich mit ihr umgehend sollte. Die kranke, leidende Anna hatte ich wenigstens trösten können, aber jetzt? Was sollte ich mit dieser eleganten Mittfünfzigerin anfangen, die sich weit von mir entfernt hatte und die jetzt den Eindruck erweckte, es wäre nichts geschehen?
Als ob sie meine Gedanken gelesen hätte, sagte Anna lächelnd: »Alles so gemütlich wie immer. Die Lampe am Kamin ist neu, nicht wahr? Und du hast umgestellt, jedenfalls die Sitzgruppe. Die stand doch früher an der Wand neben der Tür, oder?«
Sie hatte recht, und irgendwie freute ich mich, dass sie sich erinnerte. Unsere Unterhaltung plätscherte dahin. Sie trank Kaffee und griff nach den Plätzchen, die ich auf den kleinen Tisch am Kamin gestellt hatte.
»Selbst gebacken?«, fragte sie, und ich nickte.
Ich ging zum Regal und legte eine CD ein. Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert in e-Moll, op. 64, gespielt von Anne-Sophie Mutter und den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan.
Als ich zu meinem Sessel zurückkehrte, hatte Anna die Augen geschlossen. Ihr Gesichtsausdruck war gelöst, fast verklärt. Warum war sie gekommen, was wollte sie? Sie hatte sich seit meinem letzten Besuch nicht gemeldet, war nicht ans Telefon gegangen, wenn ich ihre Nummer gewählt hatte, und jetzt, wo ich mich fast entschlossen hatte, sie aufzugeben, kam sie zu mir. Doch ich traute mich nicht, etwas zu sagen.
Mir ging es nicht gut an diesem Nachmittag, die kleine Gelassenheit, die ich geglaubt hatte, allmählich
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