Kreuzdame - Köln Krimi
an dieses Bild gekommen? Und warum zerriss sie es nicht, warum lächelte sie so, als wäre diese Liebeserklärung für einen anderen bestimmt und nicht für ihren eigenen Mann?
»Ist es nicht seltsam für dich, dieses Bild zu sehen?«, fragte ich leise, und sie antwortete:
»Ja und nein. Ja, weil es nicht mein Name ist, der dort steht, und nein, weil ich ihm verziehen habe.«
»Natürlich ist es nicht dein Name, sie hieß ja auch Katharina, und du bist Anna. Also, wenn ein solches Foto von einer anderen Frau bei meinem toten Mann gefunden würde, ich weiß nicht, was ich täte – selbst wenn ich mich längst von ihm getrennt hätte.«
Sie sah mich an und schwieg. Plötzlich fiel mir ein, dass ich ihr noch nichts angeboten hatte.
»Möchtest du Kaffee? Oder lieber Tee?«, fragte ich.
»Tee«, antwortete Anna, »wenn es dir nicht zu viel Mühe macht.«
Ich flüchtete in die Küche, weg von dieser unwirklichen Stimmung und einer Frau, die ich seit mehr als vierzig Jahren kannte und von der ich doch nicht wusste, wer sie war.
Der Wasserkocher brauchte erstaunlich lange, und als ich endlich den Tee aufgießen konnte und das Stövchen aufs Tablett stellte, wäre ich am liebsten dort geblieben, vor dem Küchenherd, mit dem Blick hinaus auf die Lärchen vor unserem Haus, diese prachtvollen Bäume, deren starke Wurzeln das Pflaster hochpressten und die Mauer auseinanderdrückten, deren herabfallende Nadeln mir im Herbst viel Mühe bereiteten und die ich dennoch liebte. Ich stellte zwei Tassen auf das Tablett und eine kleine Platte mit Vanillekipferln. Vielleicht sollte ich Anna bewundern wie die Lärchen vor der Tür, bewundern für die Art, wie sie lebte, für das, was sie aus sich gemacht hatte, trotz aller Nöte und Sorgen und der Krankheit?
Ich atmete tief durch, kehrte zu Anna ins Wohnzimmer zurück, stellte das Tablett auf den Tisch und schenkte uns Tee ein.
»Zitrone oder Milch?«, sagte ich, und Anna erwiderte:
»Weder noch, aber Zucker, am liebsten Kandis, wenn du welchen hast.«
Aus dem alten Schrank an der Kopfseite unseres Wohnzimmers, über den sich mein Vater damals so aufgeregt hatte, holte ich eine blaue Zuckerdose mit Kluntjes, die wir im vorigen Jahr von Sylt mitgebracht hatten. Anna nahm drei Stück.
»Es dauert immer ziemlich lange, bis sie sich auflösen«, sagte ich, und plötzlich kam mir die Stimmung nicht mehr so bedrückend vor, so neblig trüb. Ich legte eine CD mit Saint-Saëns’ Weihnachtsoratorium ein, das Oratorio de Noël, auf das ich mich elf Monate gefreut hatte und das mich jetzt richtig glücklich machte.
»Du bist die Einzige, der ich vertraue«, sagte Anna plötzlich und sah mich an.
Was sollte ich darauf antworten? Natürlich hatte ich nichts von dem, was sie mir anvertraut hatte, weitererzählt, hatte keinem von ihrer Krankheit berichtet oder von ihren Eltern. War das so besonders? Ich hatte ihr ein Versprechen gegeben, und solche Zusagen einzuhalten war etwas, was mir schon meine Eltern in meiner Kindheit vorgelebt hatten. Erziehungswerte, die vielleicht wichtiger waren als noble Vorfahren, edles Design und das Wissen um Gaultier, Gucci und Co.
»Du kannst mir immer vertrauen«, sagte ich mit fester Stimme und staunte über mich selbst. »Ich werde dich niemals enttäuschen.«
Da kroch sie wieder hervor aus dem Grab, das ich geschaufelt hatte, die Freundschaft, die uns verbunden hatte, eine Beziehung, die viel ertragen konnte.
Anna lehnte sich zurück. »Ich wünschte, ich hätte mehr Mut. Ich habe dir neulich gesagt, ich hätte alles vergraben, tief in mir drin eingeschlossen, und ich würde nichts mehr hervorholen. Das ist leichter gesagt als getan. Etwas nicht weiterzugeben macht depressiv oder hart. Ich weiß noch nicht, wozu ich mich entscheide. Es sei denn, ich schaffe den Absprung …«
Ich sah sie ermunternd an. Sie lächelte.
»Nicht heute«, sagte sie leise, »heute noch nicht, aber vielleicht morgen oder nächste Woche, wenn du mich hereinlässt und mir zuhörst, wenn du die Wahrheit aushalten kannst.«
Sie trank den Tee aus und erhob sich.
Als sie mich anblickte, wusste ich, dass ich alles erfahren würde, alles, und ich hielt mich bereit.
Unsere Kinder würden an Weihnachten da sein, meine Schwester ebenfalls und Martins Mutter, vielleicht noch Timo. Und Anna? Was würde sie Heiligabend machen, und war es nicht meine Pflicht, sie mitsamt ihrem Sohn zu uns einzuladen?
Martins Meinung hinzuzuziehen war mir zu riskant, er hatte bei manchen Dingen
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