Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiber
Vom Netzwerk:
Köln.«
    Katy wurde blass. Sie richtete sich halb auf und hielt sich am Pfahl fest.
    »Du hast Geologie studiert, hier in Köln?«
    »Ja. Ich kenne deinen Vater und war mit ihm sogar auf Exkursion, da war er noch nicht lange wieder in Köln.«
    »Ich fasse es nicht. Warum hast du ihm denn nicht gesagt, dass du mich kennst?«
    Malte schwieg.
    Jetzt nur keine Pause entstehen lassen, dachte Katy. »Du hast doch gesagt, dass du längere Zeit im Ausland warst. Was hast du da eigentlich gemacht?«
    »Studieren wollte ich nicht mehr, aber weil mich Geologie interessiert hat, habe ich einen Sprengschein gemacht, um wenigstens in den Steinbrüchen arbeiten zu können. Hier in Deutschland wurde aber dann fast alles dichtgemacht. Deshalb bin ich erst nach Brasilien und später nach Nigeria gegangen.«
    »Nigeria, um Himmels willen, wie bist du denn gerade auf Nigeria gekommen?«
    »Da gibt es noch gute Jobs, und mit den Frauen ist es nicht so schwierig. Ich hatte ein tolles Angebot, und für mich war es wie eine andere Welt, weit weg von dieser Scheiße hier, die mir das Hirn zerfressen hat. Außerdem war ich mindestens einmal im Jahr wieder in Deutschland.«
    »Und jetzt?«
    »Und jetzt bin ich wieder hier, und ich gehe nicht mehr zurück. Ich habe noch was zu klären.«
    Er sprang auf und marschierte erregt hin und her. Katy stockte der Atem, als er schließlich vor ihr stehen blieb. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, und seine Halsschlagadern schwollen an, als er plötzlich losbrüllte: »Und jetzt, jetzt habe ich Aids. Aids von einer dieser Nutten da unten.«
    Katy verlor die Nerven. »Ist das ein Grund, das halbe Rheinland in die Luft zu jagen? Was soll der Blödsinn mit den Steinbrüchen überhaupt?«, brüllte Katy zurück.
    Schnaufend baute Malte sich vor Katy auf. Er schob den Unterkiefer vor und presste die Backenzähne aufeinander. Sein Gesicht verzerrte sich vor Anspannung.
    »Weißt du, wo das alles passiert ist? Kannst du es dir nicht denken?«, stieß er gepresst hervor. »Doch, du ahnst es inzwischen sicher. Es war im Kölner Dom, in den Aufgängen zum Turm, auf der Seite, wo die Touristen nicht hochgehen. Und weißt du auch, woraus der Turm besteht?«  
    Katy riss die Augen auf. Natürlich wusste sie das. Schließlich war sie die Tochter ihres Vaters. Flüsternd zählte sie auf: »Aus Basalt, aus Drachenfels-Trachyt und aus Oberkirchener Sandstein.« Ungläubig blickte sie ihn an. »Du denkst, so kannst du die Wurzeln herausreißen.«
    »Das Heim bei Bad Honnef war das Schlimmste. Wir Ministranten durften immer zur ›Belohnung‹ dorthin. Der Hausmeister war von der übelsten Sorte. Er durfte mit mir machen, was er wollte, damit er die Klappe hielt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es ihn erwischt. Aber er hat es mehr als verdient.«
    Katy sah Malte entsetzt an. Langsam rutschte sie am Pfahl wieder nach unten.
    »Das war nicht alles. Aber du hast recht. Die Wurzeln will ich, die Wurzeln, die mich krank machen. Und dazu gehört eben alles, was ich damit verbinde. Wenn du es genau wissen willst, der Dicke Pitter, das Wahrzeichen des Doms. Deshalb musste auch die Glockenfabrik dran glauben, wo er gegossen wurde, ebenso wie die Tuchfabrik, von der die Wäsche stammte, die ich immer vor Augen hatte, wenn sie über mich herfielen und …«
    Malte schwieg.
    »Malte«, flüsterte Katy. »Malte, verstehst du denn nicht, dass das keine Lösung ist? Deine Probleme gehen doch davon nicht weg. Im Gegenteil, du machst doch alles nur noch schlimmer. Du hast den Tod Unschuldiger in Kauf genommen.«
    Er blickte sie nicht an, als er antwortete: »Das ist ein Krieg. Und wie in jedem Krieg müssen auch Menschen sterben, die nichts dafür können. Das liegt in der Natur der Sache. Damit hatte ich zunächst auch Probleme, aber irgendwann hat mir das nichts mehr ausgemacht. Dazu war es viel zu weit weg. Wie ein Erdrutsch in Afrika oder ein Erdbeben in Indonesien mit vielen Toten.«
    »Aber das berührt uns doch auch!« Katy hatte das Gefühl, nicht an ihn heranzukommen.
    »Ja, wie lange denn? Doch höchstens eine Minute. Und wenn dann in den Nachrichten irgendwas Tolles berichtet wird, hat man das Unglück sofort wieder vergessen.«
    »Das kannst du doch überhaupt nicht mit deinen Sprengungen vergleichen«, rief Katy verzweifelt. Die Situation war absurd. Hier saß sie, gefesselt, und diskutierte mit einem Straftäter, der Selbstjustiz als legitim empfand. »Solche Unglücke sind doch Naturkatastrophen! Die sind

Weitere Kostenlose Bücher