Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Pause ein, die gerade lange genug andauerte, um einen Tick zweideutig zu sein, ohne anzüglich zu klingen. »Der Ihnen notfalls helfen konnte, wenn einmal handwerklich etwas zu erledigen war. Oder wenn nachts Geräusche zu hören waren?« Seifferheld tastete sich vor. Er klopfte mit der Meerschaumpfeife auf die plastiküberzogene Sofaarmlehne. Glimmender Tabak hüpfte heraus.
Frau Dorner leckte sich mit einer schlangengleich züngelnden Zunge über den rechten Zeigefinger, dann beugte sie sich vor und wischte mit dem angefeuchteten Finger die Tabakkrümel auf.
Seifferheld fiel es schwer, sein Pokerface zu wahren. Und nicht zu hüsteln.
Frau Dorners Lächeln fiel schmallippig aus. »O ja, es hätte mich wirklich beruhigt, nachts jemanden im Haus zu wissen. Aber Herr Klier war ja ständig auf Tour.«
Es klang vorwurfsvoll. Fast nörgelig. Wie von einer Ehefrau. Sie leerte ihr Glas und schenkte sich gleich noch einmal nach.
»Auf Tour? Mit seinem Rad?«
Sie lachte humorlos auf. »Nein, auf Tour durch die Kneipen. Meistens gabelte er irgendein billiges Flittchen auf und brachte es dann mit. Ich habe ihm mehrmals erklärt, dass ich solche Besuche in meinem Haus nicht wünsche. ›Wenn Sie sich wie ein Bekloppter ins Guinness-Buch der Rekorde rammeln wollen, dann mieten Sie sich gefälligst eine eigene Lustgrotte für Ihre Perversionen‹, habe ich zu ihm gesagt. Aber er wollte ja möglichst billig wohnen. So gut wie jeder Euro floss in sein Radlerhobby. Wissen Sie, was ein einziges Hochleistungsrad kostet? Und er hatte sieben Stück davon.«
Sie verstummte abrupt. Bestimmt hatte sie die Räder verscherbelt und sich für den Erlös mit Fässern voller Oloroso-Sherry eingedeckt. Aber das interessierte ihn momentan nicht.
Seifferheld musste an die exorbitanten Summen denken, die er schon für Stickgarn und Vorlagen ausgegeben hatte, doch auch diesen Gedanken wischte er zügig beiseite. Immer noch besser, sein Geld für ein Hobby auszugeben als für ein Laster.
»Frau Dorner, ich weiß nicht, wie ich das jetzt formulieren soll, aber …« Seifferheld räusperte sich und kratzte sich mit der Meerschaumpfeife geistesabwesend am Kinn. Wieder purzelten Tabakkrümel heraus, aber dieses Mal wurden sie unangefeuchtet aufgewischt.
Seifferheld legte den Schalter seiner gletscherblauen Augen um und ließ sie mitfühlend leuchten. »Wäre esmöglich, dass Herr Klier die … äh … die Situation hier im Haus ausgenutzt hat?«
Ihre Mundwinkel zuckten.
»Hat er Sie belästigt?«
Dieses Mal lachte Frau Dorner glockenhell amüsiert. »Gott, sind Sie altmodisch!« Sie leerte ihr Glas und hätte es erneut gefüllt, aber die Karaffe gab nichts mehr her. Den letzten Tropfen auf dem Karaffenboden hätte man schon mit einem Strohhalm aufsaugen müssen. »Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal mit meinem Ehemann geschlafen habe. Natürlich war ich da leichte Beute für Ludger. Aber ich wurde ihm bald langweilig. Als ich ihn rauswerfen wollte, hat er mich doch tatsächlich erpresst. Dieses Schwein!«
Frau Dorner presste die Lippen zusammen. Dann stand sie auf, ging zu dem Eichenkabinett, nahm mitnichten eine weitere Flasche Sherry heraus, sondern vielmehr eine riesige Monte Christo und kehrte zu ihrem Sessel zurück.
»Das hat Sie sicher sehr wütend gemacht?«, konstatierte Seifferheld.
Frau Dorner biss kräftig in die Zigarre. Man musste kein Freudianer sein, um zu ahnen, wem sie am liebsten was abgebissen hätte. Sie zündete die Monte Christo an und paffte mehrmals heftig.
Wie Katzen, die einen Katzenhaarallergiker auf hundert Schritt Entfernung erkennen und hinterlistig sofort zu ihm laufen, um sich an seiner Wade zu reiben, damit er am ganzen Körper Juckreiz bekommt und möglichst an einem asthmatischen Anfall erstickt, merkte auch der Rauch sofort, wem er Übelkeit verursachen konnte: Er waberte großflächig auf Seifferheld zu.
Inmitten des Rauches leuchteten die zornesroten Wangen von Frau Dorner. »Sie fragen, ob mich das wütend machte? Wütend? Sie haben ja keine Ahnung. Die Wände hier im Haus bestehen aus Papier. Ich habe jedes Stöhnen mitbekommen, jedes Ächzen, jedes einzelne ›Ja, ja, gib’s mir‹. Aber ich konnte nichts tun. Eine Scheidung wäre mein Untergang. Mein Mann darf davon nie etwas erfahren.«
Seifferheld nickte. Er war sicher, dass ihr Mann bereits hinlänglich Bescheid wusste und es offenbar tolerierte, weil er während der Woche eigenen Freuden nachging.
Frau Dorner sprang auf.
Weitere Kostenlose Bücher