Kreuzstich Bienenstich Herzstich
unregelmäßigen Abständen niemand Besonderem zu.
Karina und die beiden anderen froren sich die jeweiligen Gesäßpartien ab. Wie man eben friert, wenn man weitgehend nackt – von der üppigen Kunstblutkörpermalerei einmal abgesehen – in übergroßen Fleischschalen lag, ebenfalls mit Zellophan überspannt. Auf übergroßen Preisschildern prangte die Mahnung:
Milliarden Tiere werden gequält und grausam getötet, nur weil
Sie
Fleisch essen!
Diese Tatsache musste man den hirnlosen Konsumenten einfach auf drastische Weise ins Gedächtnis rufen, auch wenn manche der vorbeieilenden Konsumenten die Aktivistinnen mit Blicken bedachten, als wollten sie sich deren Gesichter für eine besonders unangenehme Methode der Ausrottung merken. Karina kam sich schon nach zwölf der geplanten hundertzwanzig Aktionsminuten wie ein räudiges Nagetier vor, dessen sich die Haller lieber heute als morgen entledigen wollten.
»Tiere bestehen wie wir aus Blut, Knochen und Fleisch«, rief Karina, weil es ihr wärmer vorkam, wenn sie zumindest die Stimmbänder bewegte. »Sie haben wie wir Ängste und Gefühle!«
Niemand achtete auf sie.
»Tiere sind auch nur Menschen!«, brüllte sie tapfer noch einen Tick lauter. Die Frühstücksgäste drüben im Salzwerk guckten genervt.
Im Landkreis Schwäbisch Hall befanden sich die beiden größten Schlachthöfe ganz Baden-Württembergs. Da war es jedem ehrlichen Tierschützer oberste Pflicht, öffentlich Stellung zu beziehen.
Ort und Zeit waren perfekt gewählt: Es war Samstag und an diesem Platz kamen so gut wie alle Haller vorbei, die auf den Wochenmarkt wollten.
Allerdings wünschte sich Karina, dass nicht Sarah-Marie, sondern sie beim Losverfahren verloren hätte – dann könnte sie jetzt in ihrem neuen rosa Häkelkleid am Stand stehen und Flyer über die Grausamkeit der Tierhaltung und der Tiertransporte sowie über die Gewalt in Schlachthäusern verteilen und müsste nicht frierend herumliegen. In der Nacht hatte es Bodenfrost gegeben. Und Zellophan hielt längst nicht so warm, wie man denken könnte. Karina meinte spüren zu können, wie ihr das Kunstblut förmlich auf der Haut gefror.
Reiß dich zusammen, du Weichei, schalt sie sich selbst. Die toten Tiere haben es auch nicht besser! Sei doch froh, dass du noch lebst und frieren kannst!
»Ich kann meine Beine nicht mehr spüren«, flüsterte ihr Tiffi schlotternd aus der Fleischschale neben ihr zu. »Wie war das doch gleich mit Zellophanhüllen? Verhindern die Gefrierbrand oder fördern sie ihn?«
Karina antwortete ihr nicht. Die Unterkühlung hatte zu einem akuten Müdigkeitsanfall geführt. Die eisigen Lider wurden immer schwerer. Das Zittern ihrer Gliedmaßen erfolgte im Takt zu
La-le-lu, nur der Mann im Mond schaut zu
. Ihr Bett in der Unteren Herrngasse schien eine Stimme bekommen zu haben und die rief lauter und lauter nach ihr.
Es kam, wie es kommen musste.
Karina schlief ein.
Sie wachte erst wieder auf, als eine halbe Stunde später vier Ordnungshüter eintrafen und die Peta-Mädels wegenErregung öffentlichen Ärgernisses kurzerhand mitnahmen.
Da hatte aber schon Fela Nneka, der schwarzafrikanische Fotograf des
Haller Tagblatts,
ein Foto der schlafenden Karina geschossen (Mund halb offen, Sabberfäden über dem Kinn), das in der Ausgabe am darauffolgenden Montag mit der Bildunterschrift
Aktivistin verschläft skurrile Aktion
auf der Titelseite des Lokalteils erschien. Pikanterweise gleich neben dem Foto, das ein Kollege von Nneka zehn Jahre zuvor geschossen hatte und auf dem man die kindliche Karina als Riesenbockwurst verkleidet auf einem Haller Faschingsfest sah. Unter den beiden Fotos stand die Bildunterschrift:
Heute Tofu, früher noch Rind
.
Peinlich.
Sehr peinlich.
Karina wurde das erste Peta-Mitglied, dem angetragen wurde, doch bitte wieder auszutreten.
Schande.
Große Schande.
Und außerdem laborierte Karina noch volle zwei Wochen an dem Schnupfen, den sie sich bei der Aktion geholt hatte.
Aus dem Polizeibericht
RECHTS ANGETÄUSCHT, LINKS VERSENKT
Am Dienstag wollte um 8 Uhr 13 der Fahrer eines Ford Focus von der Schenkenseestraße nach links auf die Tüngentaler Straße einbiegen. Von links auf der Tüngentaler Straße kam ein VW Golf, der angeblichnach rechts blinkte. Der Ford-Fahrer ging davon aus, dass er einbiegen könne, und fuhr los. Es kam zu einem Zusammenstoß beider Autos. Die Fahrerin des VW Golfs bekam einen solchen Schreck, dass sie versehentlich auf das Gaspedal trat und durch eine
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