Kreuzstich Bienenstich Herzstich
ist ein Freilandmuseum mit einem Streichelzoo. Es gibt nur einen Eber und zwei hällische Landschweinsauen mit ihren Ferkeln!«
Karina schmollte verbissen. Immer mehr zeigte sich für sie in diesem Moment, dass ihr Lieblingsonkel Siggi nur deshalb ihr Lieblingsonkel geworden war, weil sie sonst keine anderen Onkel hatte. »Ich dachte, du verstehst mich.«
»Nein, ich verstehe dich nicht! Wenn die Tiere jetzt drüben auf die Gleise laufen und vom Zug aus Heilbronn erfasst werden?«
Karina wurde blass. Das konnte man mitten in der Nacht, nur mit Autoscheinwerfer- und Blaulichtbeleuchtung natürlich nicht sehen. Was man sah, war das Paradebeispiel einer verbohrten Aktivistin.
»Also gut, ihr wolltet ein Zeichen setzen, aber dann setzt eure Zeichen auch dort, wo es angemessen ist. Nicht irgendwo da, wo es euch gerade passt, weil man mit dem Bus hinfahren kann und keine Wachen herumstehen.«
Karinas Unterlippe zitterte.
»Hast du das Schwein eingesprüht?« Seifferheld schaute in Richtung Wald, wo man gerade noch einen fluoreszierenden Fleck zwischen den Bäumen verschwinden sehen konnte.
Da Karina ihrer Selbstbeherrschung nicht traute und unter gar keinen Umständen zu weinen anfangen wollte, schüttelte sie nur den Kopf.
Seifferheld schwieg.
Das Schweigen zog sich.
»Ich bin echt erst zwei Sekunden da gewesen, als die Polizei kam. Ehrlich!«
»Aber in diesen zwei Sekunden hast du dich aktiv an der Schweinebefreiung beteiligt, wie ihr es nennt?«
Karina nickte trotzig. »Man muss etwas tun. Man darf nicht nur zusehen.«
»Deine grenzwertig legal-illegalen Aktionen sind lächerlich! Hast du jemals versucht, etwas in den Grenzen von Recht und Gesetz zu tun? Ich glaube, dir liegt gar nichts an den Schweinen. Du bist nur süchtig nach dem Adrenalinkick.«
So unverblümt hatte Seifferheld noch nie mit seiner Nichte gesprochen.
Als sie anfing zu weinen, tat es ihm bereits leid, aber da war es zu spät.
»Folterst du die Gefangene?« Ein Streifenbeamter, den Seifferheld von früher kannte, trat näher.
»Es ist keine Folter, wenn es innerhalb der Familie geschieht. Dann nennt man es Erziehung«, erklärte Seifferheld.
Drüben aus dem Wald hörte man Schreie. Sie klangen unmenschlich. Ein Lichtblitz schoss durchs Unterholz.
»Versucht ihr, das Tier einzufangen?«, erkundigte sich Seifferheld.
»Nie und nimmer. Der kommt schon zurück, wenn er Hunger kriegt.«
»Wer schreit denn da, wenn es nicht die Treiber sind?«
»Wahrscheinlich jauchzen irgendwelche Wildschweinbachen begeistert angesichts dieses potenten Zuchtebers. Ich wette, der Eber genießt jede Sekunde seines Ausflugs.«
»Sag ich doch«, murrte Karina.
Wer schläft, sündigt nicht
Es ist offen
, stand auf dem gelben Post-it-Zettel, der an der Eingangstür klebte. Seifferheld stellten sich die Nackenhaare auf. Noch leichter konnte man es potenziellen Einbrechern nicht machen. Außer vielleicht, man stellte schon draußen auf der Straße Hinweisschilder auf die unverschlossene Wohnung auf.
»MaC?«, rief er versuchsweise.
Als Antwort hörte er jedoch nur ein Klopfen.
Die ans Bett gefesselte MaC, die mit ihren Füßen um Hilfe morste?
Nein, der regelmäßig gegen die Schrankwand im Wohnzimmer schlagende Schwanz von Onis. MaC hatte ihn am Sessel angeleint, damit er nicht durch die nur angelehnte Eingangstür fortlaufen konnte, und hatte sich dann unter einer dicken karierten Decke – bestimmt ein MacDonald-Tartan – auf dem Sofa eingerollt. Sie schlief tief und fest und gab dabei leise Schnarchgeräusche von sich.
Seifferheld versenkte sich eine Weile ganz in ihren Anblick. Sie strahlte so eine Wohligkeit und Wärme aus, eine Welle der Behaglichkeit durchlief seinen Körper. Wie gern wäre er jetzt ein Schuft gewesen und hätte die Situationausgenützt. So aber hauchte er nur einen zarten Kuss auf ihre Locken, band Onis los und schrieb auf den Post-it-Block, der auf dem Couchtisch lag:
Habe Karina befreit und gehe jetzt nach Hause. Bis ganz bald, dein Siegfried.
Dann machte er sich schweren Herzens auf den Weg in sein Junggesellenzimmer in der Unteren Herrngasse.
5. Kapitel
Mit dem Seelenklempner auf der Suche nach Psychosen und Neurosen und Windhosen
Seifferheld wusste nicht genau, wie er sich die Praxisräume eines Psychologen vorgestellt hatte, so jedenfalls nicht. Vielleicht eher wie bei Sigmund Freud, mit viel dunklem Holz, einer roten Couch, unzähligen Büchern und einem Gummibaum. Oder ganz nüchtern, nichts als Chrom und Stahl und
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