Krieg der Sänger
Ofterdingen rückblickend zu seinem Entschluss gratulierte, Irmgard als
Geisel zu nehmen und dergestalt in Sicherheit zu gelangen, geriet Wolfram so in
Rage über die Abscheulichkeit, ein unschuldiges Kind mit vorgehaltenem Messer
in diesen Konflikt zu ziehen, dass er Ofterdingen einen Fausthieb verpasste.
Die Rauferei der beiden artete in ein unübersichtliches Handgemenge aus, als
die Umherstehenden versuchten, die Streithähne zu trennen. Endgültig
unterbrochen wurde der Kampf erst durch den Lärm, den die Thüringer beim
Zerschlagen der Tür und beim Sturm der Treppe machten.
Man hatte im Ganzen sechs Schwerter, einen Streitkolben, einige
Dolche sowie Gregors Küchenwerkzeuge und die Axt, aber am wertvollsten waren
zunächst die beiden Armbrüste, mit denen Wolfram und sein Knappe Stellung
bezogen.
Der Angriff der Thüringer war wenig durchdacht. Mit Gebrüll und ohne
Schilde stürmten sie die Treppenstufen hoch, wo sie von Wolframs und Friedrichs
Bolzen begrüßt wurden. Der Aufgang war so eng, dass nicht mehr als zwei Mann nebeneinanderlaufen
konnten, und sobald der Erste von ihnen getroffen zu Boden gegangen war, war
das Vorankommen für die Nachfolgenden dermaßen erschwert, dass sie die Attacke
abbrachen und ins darunterliegende Geschoss zurückwichen. Der Verwundete kroch
ihnen hinterher.
Für die zweite Attacke, die wenig später erfolgte, hatten sich die
Thüringer Schilde besorgt. Diese Schilde schützten sie beim Emporsteigen zwar
vor den Armbrustbolzen, waren aber hinderlich, sobald die Barrikade erreicht
war. Es war ihnen nicht möglich, gleichzeitig die Schilde zu halten und die
Brüstung zu stürmen. Abermals zogen sich die Angreifer zurück.
Für den dritten Anlauf hatten sich die Thüringer mit eigenen
Armbrustschützen verstärkt, die, von den Schildträgern gedeckt, die Verteidiger
unter Beschuss nahmen. Die Bolzen schlugen ins Holz der Brustwehr ein, einige
flogen darüber hinweg, aber kein einziger erreichte sein eigentliches Ziel.
Zwei der Thüringer allerdings wurden von den feindlichen Geschossen
niedergestreckt. Auch diese Attacke endete mit dem Rückzug.
Wolfram verlor keine Zeit und ordnete sofort eine Art Ausfall an,
den seine beiden Gefolgsmänner dazu nutzten, ein Schild und eine Armbrust
aufzusammeln, die ihre Angreifer fallen gelassen hatten, sowie zahlreiche
Bolzen. Die meisten der Bolzen zogen sie wie Nägel aus den Tischplatten und
Bänken.
Es wurde offensichtlich, dass sich die Thüringer für ihren nächsten
Angriff mehr Zeit lassen würden. Im Treppenhaus hörte man gelegentlich noch
Stimmen, aber die Mehrzahl der Soldaten und ihrer Anführer hatte den Palas
wieder verlassen. Bevor der Landgraf weitere Männer sinnlos in diesem Nadelöhr
opferte, würde er vermutlich das Licht des Tages abwarten.
Wie die Angreifer nun über andere Wege nachsannen, den Festsaal zu
stürmen, suchten die Verteidiger gleichermaßen andere Wege, ihn zu verlassen.
Es gab keine. Agnes hatte zwar ihr Seil dabei, mit dem man sich aus einem der
Ostfenster hätte herablassen können – dem einstigen Weg des Richtschwerts
folgend –, aber unzweifelhaft hatte der Landgraf Männer am Torturm abgestellt,
um auch die Rückseite des Palas die ganze Nacht über im Blick zu behalten. Und
in den Burghof auf der Westseite hinabzusteigen, der über und über mit Soldaten
bevölkert war, hieße, mitten in den Löwenzwinger zu springen. Die Sänger waren
also im Palas ebenso sicher, wie sie gefangen waren.
Man durchstöberte den Saal nach Nahrung und Wasser und fand hier
einen halb vollen Krug und dort einen harten Brotkanten, leere Becher und
Essgeschirr, dazu einige Tücher, die man als Decken benutzen konnte, sowie
zahlreiche Kissen. Während Konrad abgestellt wurde, bei der Treppe Wache zu
halten, entfachten Wolframs Knappen im mittleren Kamin ein Feuer. Am besten
brannten die nun trockenen Tannenzweige, mit denen der Saal zur Weihnacht dekoriert
worden war. Ofterdingen rückte sich den Thron des Landgrafen an die Flammen und
nahm darin Platz. Die anderen trugen Bänke und Schemel heran.
»Und wo sind jetzt deine Ideen, Heinrich?«, fragte Wolfram.
»Meine Ideen? Ihr habt mich doch befreien
wollen. Darum hoffe ich doch sehr, dass ihr es seid, die noch etwas in der
Hinterhand habt, uns hier herauszuholen.« Als niemand darauf Antwort gab,
klatschte Ofterdingen in die Hände, amüsiert über die Ratlosigkeit seiner
Befreier, und fügte heiter hinzu: »Kopf hoch! Wir werden schon einen Ausweg
finden.
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