Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
den beliebtesten Schlafgefährtinnen zählte, aber sie war auch nicht die Einzige mit quälenden Träumen.
Es gab Bücher für sie zu lesen, und sie konnte mit anderen Leuten reden, und für ihren Lebensunterhalt musste sie nur bei den allgemeinen Arbeiten helfen, die dazu dienten, alles gut in Schuss zu halten, und dabei, die Körbe mit Wasser und Lebensmitteln– und gelegentlichen Besuchern oder Novizen– von der Gruppe kleiner Gebäude unten auf dem Tafelberg emporzuziehen. Die Gottesdienste und Gesänge wurden Teil der täglichen Routine. Chay verabscheute sie noch immer und hielt sie für sinnlos, aber sie fügte ihre Stimme all den anderen hinzu.
Das Wetter war warm, ohne unangenehm zu werden, es sei denn, der Wind wehte aus der Wüste und brachte Staub mit. Das Wasser stammte aus einem tiefen Brunnen am Fuß des Tafelbergs und war noch immer herrlich kalt, wenn es in den großen, bastumwickelten Tontöpfen eintraf.
Manchmal stand Chay auf den Klippenmauern, blickte auf das Land tief unten hinab und staunte über ihren Mangel an Furcht. Sie wusste, dass sie vor dem tiefen Abgrund eigentlich Angst haben sollte, aber sie blieb ganz ruhig. Die anderen hielten sie für verrückt. Sie hielten sich vom Rand fern und vermieden es, Fenstern zu nahe zu kommen, hinter denen die Tiefe lauerte.
Chay wusste nicht, wie lange man ihr gestatten würde, im Refugium zu bleiben. Vermutlich bis ihr dieses Leben normal erschien. Und dann, wenn ihr alles, was sie vorher erlebt hatte, wie ein böser Traum erschien, wenn sie davon überzeugt war, dass dieses einfache, aber sichere und in seiner genügsamen Art angenehme Leben weiterging, wenn sie Hoffnung gelernt hatte… Dann würde man sie zur Hölle zurückbringen.
Sie hatten alles versucht, ihre Erinnerungen weniger schmerzhaft zu machen, als sie unter normalen Umständen gewesen wären. Im Schlaf wurde sie noch immer von schrecklichen Albträumen heimgesucht, doch sie blieben erstaunlich vage.
Nach einem Jahr schlief Chay recht gut, obwohl die Erinnerungen noch immer in ihr existierten. Anders ging es gar nicht, dachte sie. Die Erinnerungen machten einen zu dem, was man war.
Sie konnte sich jetzt an mehr von ihrem Leben im Realen erinnern. Zuvor, ungefähr während der Hälfte der Zeit, die sie mit Prin in der Hölle verbracht hatte, war sie zu der Überzeugung gelangt, dass ihr früheres Leben– ihr reales Leben– nicht mehr war als ein Traum oder Teil der Folter: erfunden zu dem Zweck, all das Leid noch schlimmer zu machen. Jetzt glaubte sie, dass es wahrscheinlich ein echtes Leben gewesen war und die Qualen der Hölle sie um den Verstand gebracht hatten.
Sie war eine richtige, reale Person gewesen, eine pavuleanische Akademikerin, Teil der guten Sache, die Höllen zu beenden. Sie hatte Prin an der Universität kennengelernt, und gemeinsam mit ihm war sie so mutig gewesen, sich in die Hölle schicken zu lassen, um ihre dortigen Erlebnisse aufzuzeichnen und der Welt die Wahrheit zu bringen. Die Hölle war virtuell gewesen, aber ihre dortigen Erfahrungen und Schmerzen hatten sich sehr real angefühlt. Sie war an den Rand des Wahnsinns geraten, und vielleicht auch darüber hinaus, hatte ihr früheres Leben für einen Traum gehalten, oder für etwas, das in der Hölle erfunden worden war, um durch den Vergleich alles noch quälender zu machen.
Prin war stärker gewesen als sie. Er war bei Verstand geblieben und hatte versucht, sie in Sicherheit zu bringen, als die Zeit zur Flucht kam. Aber nur er hatte es geschafft, die Hölle zu verlassen und ins Reale zurückzukehren. Chay hatte sich eingeredet, dass er nur einen Teil der Hölle verlassen und einen anderen erreicht hatte, aber ihm musste wirklich die Rückkehr ins Reale gelungen sein. Wenn nicht, wäre er ihr sicher längst präsentiert worden, als Beweis dafür, dass nichts anderes existierte als die Hölle.
Sie erinnerte sich auch daran, vor den König der Hölle gebracht worden zu sein, den höchsten und größten aller Dämonen, der sich darüber geärgert hatte, dass sie sich keinen Hoffnungen hingab und mit der Hölle abgefunden hatte. Er war darüber so verärgert gewesen, dass er sie getötet hatte. Anschließend war sie hier aufgewacht, in diesem gesunden pavuleanischen Körper, auf diesem seltsamen Felsen zwischen Plateau und Wüste.
Eine gelbweiße Sonne ging auf und unter, zog hoch über der Wüste ihre Bahn. Draußen in der Ödnis bewegten sich manchmal Punkte, die Tiere oder Personen sein mochten.
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