Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
ehrenwerteren Aufgaben zu. Unterdessen setzte sich die Kultur gewissermaßen auf den Hosenboden, zu ihrer eigenen Überraschung ebenso wie zu der aller anderen, biss die metaphorischen Zähne zusammen, gürtete, wenn man so wollte, die Lenden, während sich zig Billionen Bürger sagten: » Uns steht ein langer Krieg bevor.«
Unmittelbar nach den ersten Angriffen wurden die Orbitale, die den Kriegsschauplätzen am nächsten waren, einfach evakuiert. Bei anderen begann man mit einer militärischen Umrüstung, soweit das angesichts ihrer Größe und des Umstands, dass sie, wie sie gerade bewiesen hatten, auf die Waffen des Feindes so empfindlich reagierten, überhaupt einen Sinn ergab. Manche wurden einfach ihrer Rotation überlassen, leer und eingemottet, andere von der Kultur selbst zerstört.
Orbitale konnten bewegt werden, und einige von ihnen setzte man in Bewegung, aber der Vorgang nahm quälend viel Zeit in Anspruch. Für diese Wir-bringen-euch-aus-der-Gefahrenzone-Maßnahme gab es sogar so etwas wie eine » Warteliste«– ein Begriff und Konzept, an das sich viele verwöhnte Kultur-Bürger nur sehr schwer gewöhnen konnten.
Wie auch immer, viele gut ausgestattete Gebäude zu haben, die sich auch zu Rettungsbooten umfunktionieren ließen, ergab plötzlich einen unbestreitbaren Sinn. Selbst weit vom Krisenherd entfernte Orbitale griffen den neuen Konstruktionstrend auf, und riesige Wolkenkratzer von beruhigend schnittiger und schiffsartiger Form erblühten allerorts in den Orbitalen der Kultur wie plötzlich modisch gewordene Blumen.
Verteilte Städte entstanden, als man zu der Erkenntnis gelangte, dass es unklug war, Gebäude/Schiffe zu nahe beieinander zu errichten, sollte es zu einem Angriff kommen. Größere Abstände zwischen ihnen zwangen den Feind zu einer ebenfalls verteilten Zielerfassung, was es schwerer für ihn machte. Schnelle Reiseröhren an den Außenflächen des Orbitals stellten direkte Verbindungen zwischen den urbanen Clustern her und sorgten dafür, dass Reisen zwischen den Städten nicht länger dauerten als ein Spaziergang um den » Häuserblock«.
Schon seit langer Zeit war es nicht mehr absolut notwendig, in solchen Städten oder Gebäuden zu leben, es sei denn, man neigte zu einer Vorsicht, die an Angstneurose oder gar Paranoia grenzte. Die entsprechende Mode erlebte ein Auf und Ab, und unter den fünfzig Billionen Menschen und vielen Millionen Orbitalen in der Kultur gab es immer genug Menschen und Orbitale, die an dieser Idee festhielten und dadurch verhinderten, dass sie in Vergessenheit geriet. Manche Leute fühlten sich einfach sicherer in einem Haus, das die Zerstörung eines Orbitals überstehen konnte. Yime gehörte zu ihnen. Deshalb wohnte sie in diesem Gebäude, und in diesem Orbital.
Langsam und nachdenklich kämmte sie ihr Haar und schaute dabei aus dem Bullaugen-Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen. Sie hielt Costrile nicht für einen besonders guten Übungsleiter, nicht einmal für die Verteidigungsmiliz eines Orbitals. Er war viel zu desinteressiert und nachlässig. Ineffektiv. Yime fand es beschämend, dass kaum jemand von den Orbitalbewohnern wusste, dass eine solche Miliz überhaupt existierte. Selbst hier, im biederen, vorsichtigen, zugeknöpften, gebackupten, niet- und nagelfesten Dinyol-hei zeigte fast niemand Interesse an solchen Dingen. Alle waren zu sehr damit beschäftigt, sich zu vergnügen. Es hatten schon andere Versuche stattgefunden, mehr Leute an Verteidigungsübungen zu beteiligen, doch ohne Ergebnis. Die Bewohner des Orbitals schienen über so etwas nicht nachdenken zu wollen. Obwohl es ganz offensichtlich wichtig war. Wie seltsam, dachte Yime.
Vielleicht lag es daran, dass schon so lange kein richtiger, großer Krieg mehr stattgefunden hatte. Fünfzehn Jahrhunderte waren seit dem ildiranischen Konflikt vergangen– nur die entschlossensten der sogenannten Immortalisten erinnerten sich noch daran, aber es gab nur wenige von ihnen, und diese wenigen waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht daran dachten, andere vor den Gräueln des Krieges zu warnen. Gehirne und Drohnen, die daran teilgenommen hatten, zeigten ebenfalls erstaunliche Zurückhaltung, wenn es darum ging, von ihren Erfahrungen zu berichten. Und doch, es musste einen Weg geben. Die Leute mussten wachgerüttelt werden, und vielleicht war sie, Yime, die Richtige dafür. Costrile schien dafür nicht geeignet zu sein. Er hatte nicht einmal auf ihr » Kraft in Tiefe«
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