Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
Lededje einfing und zurückbrachte, stürzte sich ihre verzweifelte Mutter von einem Turm in dem Teil des Anwesens, den Lededje und ihre Freunde » Wasserlabyrinth« nannten.
Lededje hatte ihrer Mutter nie erzählt, dass Veppers sie vergewaltigte. Nach dem ersten Mal hatte Veppers sie gewarnt: Wenn sie etwas verriet, würde sie ihre Mutter nie wiedersehen. So einfach war das. Aber Lededje glaubte, dass ihre Mutter etwas geahnt hatte. Das mochte der wahre Grund für ihren Selbstmord gewesen sein.
Lededje verstand, warum ihre Mutter den Tod für den leichteren Ausweg gehalten hatte. Sie zog sogar in Erwägung, sich ebenfalls umzubringen, aber dazu fehlte ihr der Mut. Ein Teil von ihr wollte Veppers die kostbarste Person in seinem Haushalt nehmen, doch ein anderer, wichtigerer Teil wollte nicht so tief sinken, dass sie sich seinetwegen das Leben nahm.
Offenbar genügte es nicht, dass sie ihre Mutter verloren hatte; sie wurde auch noch körperlich bestraft für ihren Fluchtversuch. Eine relativ schmucklose Körperstelle am verlängerten Rücken wurde mit der exquisiten und überaus detaillierten, aber auch sehr grausamen Darstellung eines dunkelhäutigen Mädchens verziert, das durch den Wald floh. Sogar die Tätowierung selbst tat weh.
Und jetzt, als Sensia die Erinnerungen langsam zurückkehren ließ, wusste Lededje, das ihr zweiter Fluchtversuch in der Hauptstadt Ubruater stattgefunden hatte. Dabei war sie länger allein unterwegs gewesen– fünf Tage, nicht nur vier–, hatte in Ubruater aber nur zwei Kilometer zurückgelegt. Das Abenteuer war schließlich im von Veppers finanzierten Opernhaus zu Ende gegangen.
Lededje zuckte zusammen, als sie sich an das Messer erinnerte, das zwischen den Rippen in ihre Brust eindrang und ins Herz schnitt, an den grässlichen Geschmack seines Blutes und der abgebissenen Nasenspitze, die sie einmal gekaut und dann geschluckt hatte, an seine geheulten Flüche und den letzten Schlag ins Gesicht, als sie schon so gut wie tot gewesen war.
Jetzt befanden sie sich woanders.
Lededje hatte Sensia gebeten, ihre Hautfarbe von dem rötlichen Gold– eine Farbe, die sie zu sehr an Veppers’ Haut erinnerte– in ein glänzendes Schwarz zu verwandeln. Auch Haus und Landschaft waren auf ihre Anfrage hin verändert worden, in nur einem Augenblick.
Sie standen jetzt vor einem schlichteren einstöckigen Gebäude aus weiß getünchten Lehmziegeln, das zu einer kleinen grünen Oase inmitten einer Wüste aus braunem Sand gehörte, deren Dünen sich auf allen Seiten erstreckten, so weit der Blick reichte. Bunte Zelte standen an Teichen und Bächen, im Schatten großer Bäume mit roten Blättern.
» Lassen Sie Kinder in der Nähe sein«, hatte Lededje gesagt, und da waren sie, etwa ein Dutzend. Sie lachten und planschten in einem seichten Teich, ohne auf die beiden Frauen zu achten, die sie von einem der Lehmziegelhäuser am Hang beobachteten.
Sensia hatte vorgeschlagen, dass sie sich setzten, bevor sie Lededjes Erinnerungen an die letzten Tage und Stunden ihres Lebens öffnete. Sie hatten auf einem Teppich Platz genommen, der auf einer hölzernen Plattform vor dem Haus lag, und Lededje erlebte noch einmal die Ereignisse, die zu ihrem Tod geführt hatten. Nach der üblichen Reise mit dem Flieger zur Hauptstadt, voller plötzlicher Sturzflüge und Drehungen, die Veppers so sehr liebte und Lededje den Magen umdrehten, hatte sie sich in ihrem Zimmer im Stadthaus eingerichtet– ein weiteres großes Herrenhaus, aber mitten in der Stadt–, und dann war sie während des Besuchs bei einem Couturier entwischt und hatte das Tracer-Implantat, von dessen Existenz sie seit einigen Monaten wusste, aus der linken Ferse gebohrt. Anschließend hatte sie vorbereitete Kleidung, Make-up und andere Dinge geholt und war durch die Straßen der Stadt geirrt, bis die Verfolger sie im Opernhaus in die Enge getrieben hatten.
So wie Sensia ihr die Erinnerungen präsentierte, vermittelten sie das Gefühl, als beträfen sie jemand anders, als seien es Ereignisse auf der Bühne oder in einem Film. Beim ersten Durchgang fehlte die persönliche Direktheit, aber Lededje konnte zu den einzelnen Bildern zurückkehren und sich ihre Einzelheiten ansehen, wenn sie wollte. Sie hatte beschlossen, genau das zu tun, und sie tat es jetzt und schnitt dabei eine Grimasse.
Lededje war wieder aufgestanden, hatte den Schock überwunden. Sensia stand neben ihr.
» Ich bin also tot?«, fragte sie und begriff noch immer nicht ganz.
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