Krieg – Wozu er gut ist
wehrlosen Infanterie samt der zugehörigen Zivilbevölkerung, sondern Kriege waren zügellose Gewaltorgien. Wenn sich nach den pferde- und elefantengestützten Schlachten der Staub setzte, wurden die Besiegten – unabhängig davon, ob sie kapituliert hatten oder nicht – grundsätzlich abgeschlachtet. Das Zeitalter der Streitwagen erlebte eine Gewaltorgie nach der anderen, das Zeitalter der Elefanten war derart abstoßend, dass der Maurya-König Ashoka 260 v. Chr. aller Gewalt abschwor, doch das Zeitalter der Reiterhorden – angefangen von Attila, dem Hunnenkönig, bis hin zu Dschingis Khan – war schlimmer als seine beiden Vorgänger.
Alles – vor allem die Lage an der Kernwaffenfront – deutet darauf hin, dass größere kriegerische Auseinandersetzungen in der Mitte des 21. Jahrhunderts eher wie diese Konflikte der Vergangenheit und nicht wie Friedmans optimistisches Szenario verlaufen werden. Wir bewegen uns bereits auf ein zweites Atomzeitalter zu, meint der Politikwissenschaftler Paul Bracken. Das erste Atomzeitalter – die sowjetisch-amerikanische Gegnerschaft in den 1940er bis 1980er Jahren – war angsteinflößend, aber überschaubar, denn die Möglichkeit, einander gegenseitig mehrfach auszulöschen, sorgte für eine (gewisse) Stabilität. Das zweite Atomzeitalter hingegen nimmt sich für den Augenblick nicht ganz so beängstigend aus, weil die Zahl der Gefechtsköpfe so sehr geschrumpft ist, aber es ist weit davon entfernt, überschaubar zu sein. Es hat weit mehr Mitspieler als der Kalte Krieg, setzt auf kleinere Truppen und folgt, wenn überhaupt, nur wenigen allgemein akzeptierten Regeln. Das Prinzip der gegenseitigen Abschreckung gilt nicht mehr, weil Indien, Pakistan und Israel (wenn auch der Iran sich nuklear bewaffnet hat) wissen, dass ein erster Schlag gegen ihren regionalen Rivalen möglicherweise dessen Fähigkeit zum Zweitschlag lahmlegen könnte. Bis hierher haben Abwehrsysteme und die Zusicherungen des Globocops Ordnung gehalten. Wenn aber der Weltpolizist nach 2030 an Glaubwürdigkeit verliert, könnte es sein, dass nukleare Wiederaufrüstung, Wettrüsten, ja womöglich gar Präventivschläge zu einer sinnvollen Option werden.
Wenn es in den 2040er oder 2050er Jahren zu einem größeren Krieg kommt, stehen die Chancen gut, dass er nicht mit einer hochtechnisierten Schlacht zwischen den Computern, Raumstationen und Robotern der Großmächte beginnt, sondern mit Nuklearschlägen in Süd-, Ost- oder Vorderasien, die binnen kürzester Frist alle anderen Nationen mit hineinziehen werden. Ein dritter Weltkrieg würde vermutlich genauso schrecklich und erbittert wie die ersten beiden und sehr, sehr viel blutiger. Wir müssen mit massiven Cyber-, Raum- und Roboterangriffen rechnen, mit chemischen und nuklearen Schlägen, die gegen die digitalen Raketenabwehrsysteme des Feindes wüten werden wie futuristische Breitschwerter gegen eine mittelalterliche Rüstung. Und wenn die Rüstung nachgibt, was unweigerlich passieren wird, werden Feuerstürme, Strahlungswolken und Krankheitserreger über die wehrlosen Körper darunter hereinbrechen. Gut möglich, dass wie bei so vielen Schlachten der Vergangenheit keine Seite wirklich wissen wird, ob sie nun im Begriff ist zu gewinnen oder zu verlieren, bis die Katastrophe oder der Feind oder beide zusammen plötzlich über sie kommen.
Das ist ein schreckenerregendes Szenario. Aber wenn die Jahre zwischen 2010 und 2050 wirklich das Drehbuch der Jahre 1870 bis 1910 erneut abspulen – der Globocop an Stärke verliert, unbekannte Unbekannte sich mehren und die Waffen immer furchtbarer werden –, wird es zunehmend plausibel.
Der Spruch des Alten aus Neuengland wird sich dann womöglich bewahrheiten: Vielleicht führt von hier aus wirklich kein Weg nach da, wo wir hinwollen.
Es sei denn, da ist nicht da, wo wir denken, dass es ist, sondern ganz woanders.
Vereinigung
Das Geheimnis jeder Strategie besteht darin zu wissen, wo man hin will, denn nur dann kann man herausfinden, wie man dorthin gelangt. Über mehr als 200 Jahre haben Friedensaktivisten sich das »Dort« – eine Welt ohne Krieg – ziemlich genauso vorgestellt wie seinerzeit Kant: als etwas, das sich durch die bewusste Entscheidung zur Abkehr von Gewalt verwirklichen lässt. Margret Mead war nicht davon abzubringen, dass Krieg etwas sei, das wir Menschen erfunden haben und deshalb auch wieder abschaffen können. Dem Texter von War! genügte es, sich zu erheben und laut zu verkünden, dass
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