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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Gehirnoberfläche aufbringen ließen. »Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, bevor wir wirklich von Gedankenlesen reden können«, sagte Jan Schnupp, Professor für Neurowissenschaften an der Oxford University bei seiner Bewertung der Daten, aber, fügte er hinzu, »es ist eher eine Frage das Wann und weniger des Ob. … Es ist vorstellbar, dass es in den nächsten zehn Jahren so weit sein könnte.« 54
    Die zweite Anforderung für die Telepathie via Internet ist eine Möglichkeit, elektrische Signale von einem Gehirn zum nächsten zu transportieren, und im Jahr 2012 zeigte Miguel Nicolelis, ein Neurowissenschaftler von der Duke University, wie das möglich werden könnte: Er brachte Ratten in seiner Heimat Brasilien dazu, die Bewegungen von Ratten in seiner Universität in North Carolina zu steuern. Den südamerikanischen Nagern war beigebracht worden, dass sie eine Belohnung bekamen, wenn sie beim Aufleuchten eines Lichts auf einen Schalter drückten. Brasilianische Neurowissenschaftler hatten den Tieren Elektroden unter die Schädeldecke implantiert, die die Gehirnaktivität aufzeichneten und dann per Internet an Elektroden übermittelten, die auf die Gehirnoberfläche von nordamerikanischen Ratten in der gleichen Versuchsanordnung aufgebracht worden waren – die, ohne Training und ohne Lichtsignal, in siebzig Prozent aller Fälle denselben Schalter drückten und sich ihre Belohnung abholten.
    Siebzig Prozent ist alles andere als vollkommen, Rattengehirne sind um einiges weniger komplex als unsere, und einen Schalter zu drücken ist eine sogar noch einfachere Handlung, als etwas auf Facebook zu posten. Doch trotz der Unmengen an technischen Problemen scheint eines klar zu sein: Hirn-Hirn-Schnittstellen werden nicht nur dazu benutzt werden, eine Ratte per Internet die Pfötchen einer anderen bewegen zu lassen. Womöglich entwickelt sich das Ganze völlig anders, als Kurzweil es vorausgesehen hat – Nicolelis bezeichnet dessen Prognosen als »warme Luft« –, aber entwickeln wird es sich. (Genaugenommen sieht Nicolelis uns mehr oder weniger am selben Ort ankommen wie Kurzweil, allerdings aus der entgegengesetzten Richtung: Statt Gehirninhalte auf Computer zu laden, werden wir winzige Computer in unsere Gehirne implantieren.)
    Da die Fachleute sich über die Einzelheiten nicht einigen können, bringt es nicht viel, willkürlich eine Prognose herauszugreifen und sich darauf zu versteifen, aber so zu tun, als werde gar nichts passieren, bringt noch weniger. Wir fahren womöglich am besten, wenn wir uns an die weisen Worte des Chemikers und Nobelpreisträgers Richard Smalley (oft als Vater der Nanotechnologie bezeichnet) halten: »Wenn ein Wissenschaftler erklärt, dass etwas möglich ist, unterschätzt er möglicherweise, wie lange es bis dahin dauert. Aber wenn er sagt, etwas ist unmöglich, liegt er vermutlich falsch.« 55 Wie es im Einzelnen funktioniert und ob uns die Idee nun gefällt oder nicht: Brain-to-Brain-Interfacing wird uns genau wie die Robotik auf dem Schlachtfeld wohin bringen, wo wir nicht hinwollen, aber wir werden daran kaum etwas ändern können.
    Dieses Irgendwo wird nichts weniger sein als ein neues Stadium in unserer Evolution. Vor mehr als 100   000 Jahren hat der Kampf ums Überleben in einer unwirtlichen eiszeitlichen Umgebung Bedingungen geschaffen, unter denen bizarre Mutanten mit großen Gehirnen – wir – es geschafft haben, andere Arten von Frühmenschen im Wettbewerb auszustechen. Und das,obwohl diese Frühmenschen diese Mutanten selbst hervorgebracht hatten: durch sexuelle Fortpflanzung, die Zufallsmutationen entstehen ließen, von denen einige dem unnachgiebigen Druck der natürlichen Selektion standhielten. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass diese Frühmenschen aus freien Stücken Monster geschaffen haben, die sie aussterben ließen, aber Evolution ist nun mal Evolution, und so hatten sie keine Wahl.
    Was der Mensch sät, das wird er ernten; und nun, tausend Jahrhunderte danach, tun wir etwas ganz Ähnliches wie die Frühmenschen, aber wir tun es rascher – durch kulturelle statt durch biologische Evolution. In unserem Ringen ums Überleben in einer dicht bevölkerten, immer wärmer werdenden Welt bringen wir neue bizarre Mutanten mit großen Gehirnen hervor und schließen mit Hilfe von Maschinen unsere schlichten biologischen Einzelgehirne zu einer Art Superorganismus zusammen. Was wir so schaffen, ist in gewisser Hinsicht die ultimative zugangsoffene Gesellschaftsordnung

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