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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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bar aller Barrieren zwischen Individuen. Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Sprache, Bildung, was immer Sie wollen – alles wird in diesem Superorganismus aufgehen.
    Vielleicht wird das Ganze nur so weit gehen, dass wir Gedanken, Erinnerungen und Persönlichkeiten teilen (Nicolelis Vermutung), oder vielleicht wird es auch den Punkt erreichen, da Individualität nicht mehr viel bedeutet (Kurzweils Vermutung). Vielleicht wird es auch viel weiter gehen, und das, was wir heute noch herablassend als »künstliche Intelligenz« bezeichnen, wird die ineffiziente altmodische tierische Intelligenz ein für allemal verdrängen. Wir wissen es nicht, aber wenn die Geschichte uns in irgendeiner Weise Richtschnur sein kann, dann müssen wir damit rechnen, dass die Mutanten – die neue Version unserer Art – die alte Version von uns genauso gründlich verdrängt, wie wir einst die Neandertaler verdrängt haben.
    Einmal mehr sieht es so aus, als gebe es nichts, was es nicht schon gegeben hat. Vor knapp zwei Milliarden Jahren verschmolzen Bakterien zu den ersten Zellen. Im Laufe der nächsten Jahrmillionen wurden diese Zellen immer komplexer, und nach mehr als einer Milliarde Jahren begannen sie zu vielzelligen Organismen zu verschmelzen. Auf jeder Stufe gaben einfachere Organismen einige ihrer Funktionen – einen Teil ihrer Freiheit, wenn man so will – auf, um zu spezialisierten Teilen eines größeren, komplexeren Wesens zu werden. Bakterien verloren ihre Bakterienhaftigkeit und gewannen Zellhaftigkeit. Zellen verloren ihre Zellhaftigkeit und bekamen dafürTierhaftigkeit und Bewusstsein, und nun sind wir Menschen vielleicht im Begriff, unsere tierische Individualität aufzugeben und Teil von etwas zu werden, das vom Homo sapiens so weit entfernt ist, wie wir es von unseren einzelligen Urahnen sind.
    Die Folgen für das Spiel des Todes sind, gelinde gesagt, ungeheuerlich. Vor 2   000 Jahren berichtete der römische Geschichtsschreiber Livius aus den bitteren Tagen, da seine Stadt geteilt war. Die Armen, berichtet er, hatten sich gegen die Reichen erhoben und bezeichneten sie als Parasiten. Aber Menenius Agrippa, ein profilierter Senator, suchte das Lager der Aufständischen auf, um für Frieden zu sorgen. »Einst, als im Menschen noch nicht alles so einstimmig gewesen [ist] wie jetzt, sondern jedes Glied seinen eignen Willen, seine eigne Sprache hatte«, so erzählte er ihnen, hätten die übrigen Körperteile das Gefühl gehabt, dass der Magen faul und untätig nichts anderes tue, als nur darauf zu warten, dass sie ihn füllten. Sie hätten »sich also verabredet, die Hände sollten keine Speise zum Munde führen, der Mund die gebotene nicht annehmen, die Zähne sie nicht zermalmen. Über diese Spannung, in der sie den Magen durch Hunger zu zwingen dächten, waren zugleich die Glieder selbst und der ganze Körper auf den höchsten Grad der Auszehrung gebracht.« Die Rebellen kapierten, worauf er hinauswollte, und gaben klein bei.
    Je weiter das Brain-to-Brain-Interfacing gedeihen wird, desto mehr wird Agrippas Parabel Wirklichkeit werden. Vielleicht wird der Lohn für Gewalt sogar auf null sinken. Sollte es dazu kommen, wird das Tier zusammen mit unserer übrigen Tierhaftigkeit aussterben, und für die vernetzte Intelligenz wird es sinnlos geworden sein, Unstimmigkeiten gewaltsam lösen zu wollen (was immer »Unstimmigkeit« und »Gewalt« dann bedeuten werden).
    Vielleicht aber auch nicht. Wenn die Analogie zwischen Zellen, die in einem gemeinsamen Körper aufgehen, und Intellekten, die in einem Superorganismus aufgehen, stimmig ist, entwickeln sich Konflikte vielleicht auch nur zu neuen Formen. Unser eigener Körper ist schließlich nichts anderes als ein Schauplatz endloser Kämpfe. Schwangere konkurrieren mit ihren Ungeborenen um die Blut- und Zuckerversorgung. Ist die Mutter zu erfolgreich, wird der Fetus geschädigt oder stirbt. Ist der Fetus zu erfolgreich, erkrankt die Mutter an Präeklampsie oder Schwangerschaftsdiabetes, die potentiell beide – Mutter und Kind – das Leben kosten können. Ein Superorganismus erleidet womöglich ähnliche Konflikte, unter anderem vielleicht darum, welchem Teil die meiste Energie zufließt.
    Etwa jeder 500. Mensch leidet gegenwärtig an Krebs, das heißt, gewisse Zellen seines Körpers entziehen sich der Wachstumskontrolle und vermehren sich ungeachtet der Kosten für den übrigen Körper ungehindert weiter. Um uns vor solchen schweren Krankheiten und vor Viren zu

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