Krieger der Stille
nichts als das Resultat verloren gegangenen Wissens.
Filp Asmussas ganzes Wesen schreit diese Gewissheit. Er empfindet diesen Schrei als Meineid den vier Weisen des Gremiums gegenüber, wie eine Beleidigung seines unsichtbaren Meisters, des Mahdis Seqoram. Also fleht er um dessen Beistand, bittet um Licht in diesem finsteren Tunnel. Aber sein Gebet wird nicht erhört, keine Stimme
tröstet ihn in seiner Einsamkeit, seinem Leid. Er bedauert seine Zaghaftigkeit, weil er auf dem Weg zu den unterirdischen Archiven umgekehrt ist und aus Schwäche darauf verzichtet hat, die Vergangenheit kennenzulernen. Und er bewundert Long-Shu Paes Mut, den allmächtigen Repräsentanten des Gremiums die Stirn zu bieten und mehr noch, den Verboten seines Gewissens zu trotzen, während er, Filp Asmussa, der Spross einer stolzen Adelsfamilie, im entscheidenden Augenblick versagt hat. Und allein wegen dieser fehlenden Kühnheit findet er sich der Ritterwürde nicht für würdig.
Und so wird ihm während seiner quälenden Selbsterforschung Long-Shu Pae immer mehr zum Maßstab. Nie hatte er geglaubt, dass diese letzte Prüfung sich als derart schwierig erweisen würde, denn alle seine Worte, seine Ideologie, seine Überzeugungen, dieses ganze Gebäude früherer Sicherheit stürzt in sich ein. Das ist der Beweis, dass es für ihn in dem Orden der Absolution keinen Platz mehr gibt.
Wie der verbannte Ritter gelangt er zu der Überzeugung, dass der Orden auf eine Katastrophe zusteuert, in der Ebene, weit von der Festung der Stille entfernt … Die Vorahnung auf ein unmittelbar bevorstehendes Desaster beschleicht ihn und lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Sein Glaube an die Überlegenheit der Ritter schwindet, und selbst sein Sieg über diesen grünen Kapuzenmann auf Roter-Punkt trägt nicht zu seiner Beruhigung bei. Im Gegenteil, er erinnert sich, dass dieser Kampf – auch wenn er zu seinen Gunsten ausgegangen ist –, einen seltsam bitteren Geschmack hinterließ. Jetzt hat er das Gefühl, manipuliert worden zu sein, um den Orden in die Irre zu führen. Bei diesem Gedanken wird ihm schwer
ums Herz, sein Mund wird trocken, Tränen treten in seine Augen, und nur das Herauf beschwören Aphykits bewahrt ihn davor, den Boden unter den Füßen zu verlieren und ganz in seiner Verzweiflung zu versinken.
»Die Wahrheit kommt von ganz allein. Euer See des Xui …«
Ist das seine Wahrheit? Ist es die immer größer werdende Gewissheit, dass dieser Orden, dem er sich mit Leib und Seele verschrieben hatte, nichts als ein hohles Gebilde ist, das von einem selbstgefälligen, senilen Gremium geleitet wird? Und sollte auch der Mahdi davon betroffen sein?
So entdeckt er auf wunderbare Weise eine andere Wahrheit, eine Wahrheit, die dem Ideal der Ritterschaft entspricht, so wie sie der Gründer des Ordens, Naflin, vor vielen hundert Jahren zur Regel machte. Doch im Augenblick überwiegt die Sorge, der unmittelbare Untergang des Klosters könne bevorstehen. Also trifft er eine folgenschwere Entscheidung: auf die Ritterschaft zu verzichten. Denn er will durch seinen fehlenden Glauben nicht wie ein poröser Stein in der Festungsmauer sein, durch den der Feind mental eindringen könnte. Und konsequent dieser neuen Logik folgend, überlegt er, ob er überhaupt an der Schlacht teilnehmen soll. Natürlich werden seine neidischen Gefährten ihn mit Hohn und Spott überhäufen. Aber warum sollte er für etwas kämpfen, das er von vornherein verloren glaubt? Andere Aufgaben warten in seiner Heimat auf ihn. Der Thron des Herrschers ist vakant … Seine Familie ist ins Zwischenreich aufgebrochen, in das Reich der Toten. Ist es nicht besser, auf seinen Planeten zurückzukehren und von dort aus den Widerstand gegen das neue Kaiserreich zu organisieren? Er, der letzte
vom Herrscherhaus der Asmussa wird sich erheben, und sollten die Götter Aphykit am Leben erhalten – und das werden sie tun –, wird er sie heiraten, und sie beide werden über Sbarao und die Ringe herrschen, auch wenn die anderen Krieger ihn dann verachten würden. Mit einem bitteren Lächeln denkt er, dass er jeden, der ihm eine solche Handlungsweise unterstellt hätte, noch vor kurzem mit dem Bannstrahl seines Zorns bestraft hätte.
Diese Entscheidung bietet jedoch zwei Vorteile. Einmal erlöst sie ihn aus diesem unerträglichen Gewissenskonflikt, und zum anderen findet er – wenigstens vorübergehend – seine Seelenruhe wieder, so wie frisches Wasser die Schmerzen eines Sonnenbrands
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