Krieger des Lichts - Palmer, P: Krieger des Lichts
er eigentlich auch gar nicht gerechnet. Er saugte den Anblick ihres lodernden Haares, ihres zierlichen, gebeugten Halses auf, während sie nach unten ins Wasser starrte.
»Ich werde nicht zulassen, dass einer dir etwas tut, Liv. Keiner wird dir etwas tun. Ich kann das, was passiert ist, nicht ungeschehen machen, aber ich kann dafür sorgen, dass du nie wieder allein bist. Ich werde die Krieger des Lichts verlassen. Ich werde bei dir bleiben und mit dir hingehen, wohin du willst. Keiner wird dir je etwas tun.«
Langsam drehte Olivia den Kopf zu ihm um, und sogar jetzt, nach allem, was er ihr angetan hatte, strahlten ihre Augen mehr Kraft aus, als er besaß.
»Verschwinde, Jag. Ich will dich nicht mehr in meinem Leben haben. Ich brauche dich nicht.«
Er begegnete ihrem Blick und sah noch nicht einmal einen Hauch des Hasses, der eigentlich in ihm liegen müsste. Nicht das kleinste Anzeichen, dass er ihr überhaupt etwas bedeutete. In ihrem Blick lagen nur eine abgrundtiefe Erschöpfung und eine Traurigkeit, die ihm das Herz zerriss.
»Doch, du brauchst mich, Liv. Sie werden dich jagen. Wenn nicht die Krieger des Lichts, dann jemand anders.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Und du würdest dein Leben und deine Arbeit hier opfern, um mich zu beschützen?«
»Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand etwas tut.«
»Jemand anders als du, meinst du?«
Die Worte bohrten sich wie eine stumpfe Klinge in sein Herz. »Das habe ich verdient. Ich wollte dich nicht verraten, Olivia.«
»Nein. Du wolltest nicht hören, was ich zu sagen hatte, und dann hast du es mir gegeben, weil ich es trotzdem gesagt habe. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.« Sie wandte sich wieder ab. »Nichts spielt mehr eine Rolle.«
»Olivia … du bedeutest mir auch etwas. Ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben.«
Langsam hob sie den Kopf und sah ihn über die Schulter an, doch in ihrer Miene lag keine Freude.
»Du glaubst mir nicht.«
»Ich weiß es nicht, Jag«, erwiderte sie erschöpft. »Vielleicht empfindest du tatsächlich etwas. Aber es ist unwichtig. Deine Sorge um mich, sogar deine Liebe, bringt uns beiden nichts, solange du dich nicht selber liebst. Du wirst dich einfach nur weiter strafen und mir wehtun. Erst wenn du gelernt hast, dir selbst zu vergeben, und einen Weg gefunden hast, trotz deiner Fehler das Gute in dir zu sehen, wirst du bereit sein, jemand anders zu lieben.«
Sie strich ihr Haar zurück und stützte den Ellbogen auf den Knien auf. »Es ist nichts dabei, manchmal Fehler zu machen. Das tun wir alle. Das Entscheidende ist, dass du dir selber zutraust, zu versuchen, das Richtige zu tun. Und dir zu verzeihen, wenn dir das gelegentlich misslingt. Solange du das nicht tust, werden Schuldgefühle und Selbsthass dich innerlich vergiften, Jag.«
Olivia drehte sich wieder zum Fluss um und kehrte ihm den Rücken zu. »Und jetzt verschwinde und lass mich in Ruhe.«
Jag starrte auf ihren Hinterkopf, den schmalen Rücken, der sogar jetzt Kraft ausstrahlte, und kämpfte mit einem Schmerz, den er kaum ertragen konnte. Er konnte sie nicht verlassen. Er würde eher sterben, ehe er zuließ, dass irgendwer ihr noch einmal wehtat.
Und das galt auch für ihn selber.
Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen, der aufgehenden Sonne zugesehen und versucht hatte, sich nicht zu hassen, als er den Schrei das erste Mal hörte. Der Angstschrei eines Kindes.
Sein Kopf fuhr herum, und er erspähte sie sofort. Ein nicht mehr als neun oder zehn Jahre altes Mädchen, das durch den Wald auf die Klippe zugerannt kam, auf der sie saßen. Sie hatte Jeans und ein Mickey-Mouse-Sweatshirt an, das am Hals eingerissen war. Tränen strömten ihr über das verängstigte Gesicht.
Jag sprang auf und rannte auf sie zu.
Das Kind sah ihn und kam direkt auf ihn zugelaufen. »Hilfe! Er will mir wehtun.«
Jag knurrte vor Wut.
»Mistkerl«, zischte Olivia neben ihm.
Jag hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihm gefolgt war, und sah ihr jetzt in die Augen. Einen flüchtigen Moment lang herrschte wieder völlige Übereinstimmung zwischen ihnen.
Gemeinsam kamen sie die Klippe heruntergeklettert, als das Mädchen sie erreichte. Es streckte seine Hände aus, und Jag ergriff die eine Hand, während Olivia die andere nahm. Keiner würde ihm etwas tun.
Ein seltsames, fast schon hinterhältiges Lächeln verzog den Mund des Kindes. Dann schaute es zu ihnen auf, und Jag erstarrte. Er sagte sich noch, dass er seine Hand wegreißen sollte, aber da war
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