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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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der Selbstmordversuch von Natalie – das war nun wirklich ein Hilferuf! Aber ihre Mutter reagierte auch diesmal so, als sei alles halb so schlimm. Ein Glück, dass Natalie dann nach New York ging. Wäre sie hier im Hunsrück geblieben, hätte sie sich vielleicht gar nicht mehr in ihrem Leben zurechtgefunden.
    Drei Blickwinkel, drei Einschätzungen. Nur in einem Punkt hätte sich Übereinstimmung ergeben, doch der betraf nicht das Familienklima, sondern den kalten Krieg, in den Isabell und Natalie Kramp hineingeboren worden waren. Ihr Heimatdorf lag in der Nähe des amerikanischen Militärstützpunktes Hahn – heute ein ziviler Flughafen – und insofern hatte die Idylle einen erheblichen Defekt. Die Düsenjäger starteten und landeten dicht hintereinander und machten im Tiefflug einen Höllenlärm. Wurde ein Dorfbewohner beerdigt, konnte der Pfarrer sich bei seiner Ansprache jede Mühe sparen. Er wurde ja doch nicht verstanden. Für die Schwestern war der Flugdonner normal. Dem Vater aber konnte er, vor allem beim Grillen im Garten, derart an den Nerven zerren, dass er das Wenden der Würstchen seiner Frau überließ und sich in seinen Hobbykeller verzog. Die wiederum meinte, es sei alles eine Frage der richtigen Einstellung: Man müsse die Tiefflieger als Freunde und nicht als Feinde sehen, denn schließlich – und hier bekam ihre Stimme jedes Mal einen ironischen Unterton – würde der große Bruder Amerika sie vor den Russen schützen. Inge Kramp* war eine typische Schlesierin, herzlich und lebhaft. So jemand ist morgens nach dem Aufstehen nicht einfach nur wach, sondern munter. So jemandem ist es wichtig, gute Laune zu verbreiten. Als Gastgeberin ist Inge Kramp ein Naturtalent. Ihre Freundinnen und die Verwandten schätzen sie sehr.
    [61] Zwei ungleiche Schwestern
    Aber sie steht in dieser Geschichte in der zweiten Reihe. Die Hauptpersonen sind ihre Töchter, Natalie und Isabell, heute Frauen um die Vierzig. Isabell wohnt in Trier und sie hat zwei Kinder, beide im Grundschulalter. Vor kurzem hat sie sich von ihrem Mann getrennt. Vermutlich wird sie fortziehen. Ihr neuer Wohnort wird davon abhängen, wo sie als Sozialpädagogin eine Halbtagsstelle findet. Sie hat schulterlanges, dunkelblondes Haar und zeigt – im Unterschied zu ihrer meistens bis oben hin zugeknöpften Schwester – gern etwas Brustansatz. So wie sie sich kleidet und bewegt, entspricht sie dem Typ sinnliche Frau. Schwer vorstellbar, dass sie, 1,70 Meter groß, in jungen Jahren nur 48 Kilo wog. Isabells Leben ist im Umbruch. Sie will nicht länger die Frau eines Mannes sein, den sie nicht liebt – nicht deshalb, weil er ohne liebenswerte Seiten wäre, sondern weil er schlichtweg nicht der Richtige ist. Als sie ihn mit Anfang 30 heiratete, kannte sie den Zustand des Verliebt seins überhaupt nicht, und sie redete sich ein: Ich mag ihn, wir wollen beide Kinder, er ist intelligent und sympathisch; es wird schon klappen. Inzwischen sieht sie ihre Ehe als gescheitert. Im vergangenen Sommer hatte sie ein leidenschaftliches Verhältnis mit einem anderen Mann. Seitdem weiß sie, was es heißt, verliebt zu sein.
    Ihr graut vor den Scheidungsauseinandersetzungen. Ihr Mann hat angekündigt, er werde ihr die Kinder nicht kampflos überlassen. Als Kaufmann hat er es zu Wohlstand gebracht, er kann sich den besten aller Anwälte leisten. Die größte Unterstützung für Isabell kommt von Natalie. Dank der billigen Telefonverbindungen im Internet können sie zweimal pro Woche telefonieren, selten unter einer Stunde.
    Auch bei Natalie in New York stehen Veränderungen an, allerdings ist sie noch immer in der Phase des Abwägens, was sie wirklich will und was nicht, und ob das, was sie sich vorstellt, [62] überhaupt realistisch ist. Die Informatikerin, die früher Sprachen studierte, möchte noch einmal zurück an die Universität. Psychologie und Literatur interessieren sie. Aber da sie noch nicht einschätzen kann, wie groß oder wie klein ihre späteren Berufschancen sein werden, ist noch nichts entschieden. Natalie trägt ihr Haar kurz und läuft meistens in langen Hosen herum – sie ist der Typ Page. Noch immer wiegt sie zu wenig, ihre Handgelenke sind eindeutig zu schmal. Seit Jahren kämpft sie gegen eine immer wiederkehrende Depression, doch die, sagt sie, habe sie endlich mit Hilfe einer Therapeutin in den Griff bekommen. Natalie glaubt fest daran, dass sich auch ihre Essstörung verabschieden wird.
    Erfolgreiche Bogenschützin
    Sie und ihr Freund

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