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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Danach machen die Eltern stur ihren Rhythmus weiter. Ich sitze auf der Couch – ob ich da bin oder nicht, ist eigentlich egal. Man schwimmt wieder in dieser stillstehenden grauen Sauce.
    Sonntags rufe ich immer um die gleiche Zeit bei ihnen an. Vater redet nur Oberflächliches: Hallo, ja, uns geht es gut. Wie ist das Wetter in Berlin? Mutter ist am Telefon gehemmt, solange Vater sich im Raum befindet. Sie fühlt sich von ihm kontrolliert. Aber wenn er unterwegs ist, dann kann man relativ normal und authentisch mit ihr sprechen.
    [234] Meine Eltern können mich und meine Schwestern überhaupt nicht erfassen. Sie interessieren sich nicht für das, was ihre Kinder beruflich machen. Sie sagen kein Wort zu meiner Malerei, zu meinen Bildern – nicht mal: »Ist dir der Pinsel explodiert?!« Irgendwann habe ich mit Computermusik angefangen. Ich habe Mutter eine CD geschickt. Ich glaube, sie hat bis heute nicht begriffen, dass ich das gemacht habe. Wenn wenigstens eine Reaktion käme wie: Was ist das für eine grässliche Musik, die du uns da geschickt hast ... Aber da kommt gar nichts. So ist das mit ihrer großen Angst – ihrer Angst vor allem und jedem.
    Wenn ich heute etwas vermisse, dann ist es – na ja, Segen würde ich nicht sagen – nennen wir es Wertschätzung. Ich habe keine Reichtümer angehäuft, ich bin nicht gescheitert, meine sehr eigene Art zu leben funktioniert. Mit meiner Kunst verdiene ich nicht genug, aber mit meinen Aufträgen als Grafiker komme ich gut hin. Ich rauche nicht, ich trinke mäßig, ich bin verheiratet, ich habe ein Kind, eine schöne Wohnung. Ich bin keine abgerissene Existenz, man kann mich vorzeigen, ich stehe anderen Menschen bei, ich bin kein Egozentriker, sondern eigentlich ein netter Mensch. Manchmal stelle ich mir vor, ich hätte Eltern, die von mir denken: Unser Sohn ist ein netter Mensch – und mir das auch zeigen. Das wäre doch eigentlich das Minimum, aber selbst das existiert nicht.
    Ich bin doch ihr Sohn!
    Auf Familienfeiern werden nur Klischees produziert, zuletzt an Vaters 75. Geburtstag. Es gab wieder dieses oberflächliche Gerede. Was mich traurig macht: Es würde ihm so gut tun, einfach nur ein Mensch zu sein, der offen ist und seine Schwächen zugibt; einer, der Fragezeichen zulässt und nicht auf alles gleich eine Antwort parat hat. Ich kann mich an keine einzige Situation [235] erinnern, dass man mal halbwegs entspannt zusammen saß und sich austauschte. Das habe ich mir immer gewünscht. Ich bin doch ihr Sohn!
    Als ich sie vor einigen Jahren Weihnachten besuchte, da habe ich gedacht, ich versuch es noch mal mit einem richtigen Gespräch. Ich wollte mal ehrlich und differenziert darstellen, wie ich lebe und was mich bewegt: Ich suchte einfach etwas Nähe. – Es war ein Desaster! Vater in seinem Drehsessel drehte sich weg. Von ihm kam nur: ›Was redest du hier ...‹ Ich saß dann heulend auf dem Sofa. Die große Peinlichkeit. Man war wie paralysiert. Danach wurde ins Bett gegangen. Aber am nächsten Tag war alles ganz normal. Es wurde nie wieder darüber gesprochen.
    Ich habe sehr lange gebraucht, bis mir auffiel, dass meine Eltern extrem eingeschränkt sind. Seit ich ein Kind habe, werde ich wieder öfter daran erinnert, wie es bei mir früher war. Meine Frau und ich haben für unseren Sohn ein großes Zimmer eingerichtet und uns dabei viele Gedanken gemacht. Wie kriegen wir das hin, dass er sich wohl fühlt? Bei solchen Gelegenheiten taucht natürlich meine eigene Kindheit wieder auf, und ich sage mir: Was haben meine Eltern sich da selbst angetan? Was gibt es Blöderes als unzufriedene Kinder?
    Normalerweise beschäftigt mich das Thema Eltern nicht mehr. Was ich heute empfinde, wenn ich an sie denke? Es schwankt. Mal finde ich: Leckt mich doch! Ein anderes Mal ist es ein Schwermutsgefühl. Meine Begegnungen mit ihnen tun mir nicht gut. Ich bin dann wie aufgeschreckt. Nach einer Familienfeier muss ich lange mit meiner ältesten Schwester telefonieren, bis sich das Gleichgewicht wieder einstellt.
    [236] Vorsicht – heiße Herdplatte!
    Es ist einige Jahre her, als ich erkannte: Die Eltern sind traumatisiert. Meine Schwester hat mich darauf gebracht. Da habe ich vieles verstanden. Seitdem achte ich noch mehr auf Distanz. Ich weiß jetzt, warum sie mir heute noch schaden können. Ich hab es kapiert und verhalte mich entsprechend. Ich halte Abstand. Vorsicht – heiße Herdplatte! Meine Eltern entfernen sich immer mehr von mir durch diese oberflächlichen Anrufe.

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