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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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mein erstes eigenes Zimmer. Da war ich 22 Jahre alt. In der neuen Umgebung habe ich mich dann endgültig befreit.
    Ich ging auch zur Bundeswehr. Da war ich gefragt, weil ich malen konnte. Also habe ich Wände bemalt, zum Beispiel mit Panzern. Ich bekam auch den Auftrag für eine Wanddeko mit dem Text des Deutschlandliedes. Das fanden sie alle ganz toll, und es brachte mir eine Reihe von Vergünstigungen ein. Ich war ja in diesem Milieu eine Ausnahme. Suchen Sie mal jemanden in Künstlerkreisen, der bei der Bundeswehr war. Nach dem Studium, mit Mitte 20 – wenige Monate vor dem Mauerfall – wechselte ich vom Bodensee nach Berlin. Ich tat es aus einem Impuls heraus, ohne Vorbereitung. Damals herrschte in Berlin Wohnungsmangel. Ich hatte drei Jahre lang ein schmales Zimmer mit Bett und Regal. Da habe ich auch gemalt. Wie bei Vincent van Gogh. Der hat sein Zimmer in Arles gemalt. Kennen Sie das Bild? Na, dann haben Sie eine Vorstellung. Egal, es war mein Zimmer.
    Auf meinem Schrankbett, in der Wohnung der Eltern, stand nicht nur mein Kassettenrecorder, sondern auch das Foto meines Großvaters in Wehrmachtsuniform. Der guckt darauf streng zur Seite. Würde man meinem Vater dazu Fragen stellen, würde er mit verbitterter Miene etwas aus dieser Zeit erzählen. Für mich selbst ist das wie aus vierter Hand: Man guckt in einen grauen, tiefen Vergangenheitsorkus, der nichts wirklich preisgibt.
    [232] Mein Vater wurde 1932 in der Nähe der heutigen Grenze zu Polen geboren. Die Familie zählte dort zu den besseren Leuten. Der Großvater wurde kurz vor Kriegsende noch eingezogen, in den Volkssturm, so nannte man das wohl: Verteidigungswälle gegen die sowjetische Armee errichten. Er fiel an einem der letzten Kriegstage. Mein Vater hat seinen toten Vater auf einem Karren nach Hause gebracht. Die Familie wurde dann von den Russen vom eigenen Hof vertrieben.
    Ein bisschen Punk
    Fragt man meine Mutter nach der Flucht, dann sagt sie, sie war noch klein, sie könnte sich an das meiste nicht erinnern, und sie fügt hinzu: zum Glück. Mit meiner Mutter verstehe ich mich besser als mit meinem Vater. Ich war ihr Liebling, der einzige Sohn. Mütter mögen halt Söhne. Sie hat mich auch unterstützt, als ich sagte, ich will etwas Kreatives machen – sie nennt es »etwas Musisches«. Wäre es nach meinem Vater gegangen, hätte ich in seiner Branche, in einer Spedition, angefangen, möglichst in seiner früheren Firma. Und vielleicht wäre ich ja genau wie er ein Sachbearbeiter, ein kleiner Angestellter geblieben.
    Er war ein sehr strenger Vater, aber als ich volljährig wurde, verlor er seinen Einfluss. Während meiner Diskophase hat er wohl gelitten. Wie ich damals herumlief? Nicht besonders schlimm, fand ich: die Haare schwarz gefärbt, die Augen mit Kajalstift bemalt, dunkle Kleidung – ein bisschen Punk, ein bisschen depri eben. Mein Vater verhielt sich missbilligend, er hatte aber auch Angst, auf seinen Sohn zuzugehen. In diesem Fall hätte er wahrscheinlich gemerkt, dass ich gar nicht so ein Wilder war. Manchmal kam ich erst morgens um vier nach Hause. Einmal stand er da in seinem grünen Bademantel und wollte mich zur Rede stellen. Ich ging aber einfach an ihm vorbei und nichts geschah. Das waren seine hilflosen Versuche, seine [233] Autorität zu präsentieren. Er konnte nichts mehr machen. Ich war schon über 18, ich war meinem Vater entglitten.
    Als Kind fand ich ihn seiner Strenge wegen aber auch gut. In seinem Auftreten wirkte er männlich und kompetent. Und er fuhr einen Mercedes, immerhin. Vater ist Vater. Man ist als Kind in einem Abhängigkeitsverhältnis, man stoppelt so hinterher. Typisch für ihn ist eine kritisch negative Haltung. Die zählt in seinen Augen mehr als eine optimistische Haltung. Er las das Manager-Magazin und breitete gern seine ökonomischen Kenntnisse aus. Er kommentierte regierungspolitische Entscheidungen, aber auch alles, was in der Stadt neu gebaut wurde, natürlich kritisch. Sein Lieblingssatz: Das kann doch nichts werden. So stellte er sich Seriosität vor, im Sinne von: Das Leben ist ernst und schwierig. Diese Sichtweise hat man eben als Sohn lange Jahre übernommen. Wie gesagt, Vater ist Vater.
    Der Fernseher bleibt an
    Ich sehe meine Eltern sehr selten, maximal einmal im Jahr. Ich fahre auch nicht mehr zu Weihnachten hin. Ich habe meine eigene Familie. Weihnachten bei meinen Eltern sieht so aus: Man kommt an, man begrüßt sich. Der Fernseher bleibt an. Dann gibt es eine Viertelstunde Info.

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