Kriegsklingen (First Law - Band 1)
eilten geschäftig über die Decks und kletterten in der Takelung herum. Einige Boote waren sogar noch kleiner als ihr eigenes mit seinen zwei Segeln. Andere waren wesentlich größer. Logen starrte gebannt auf ein riesiges Schiff, das in ihrer Richtung durchs Wasser pflügte, während schimmernde Gischt vom Bug aufspritzte. Ein Berg aus Holz, der mit Hilfe irgendeines Zaubers über das Meer trieb. Das Schiff fuhr an ihnen vorbei und ließ sie auf den Wellen seines Kielwassers schaukeln, aber es gab noch viele, viele weitere, die an den zahllosen Kais entlang der Uferlinie lagen.
Logen beschirmte die Augen mit der Hand gegen die grelle Sonne und entdeckte, dass an den ausgedehnten Hafenanlagen Menschen unterwegs waren. Nun hörte er sie auch, ein leises Dröhnen von Stimmen, ratternden Wagen und Ladung, die an Land geschafft wurde. Hunderte winziger Figuren waren dort zu sehen, die wie schwarze Ameisen zwischen den Schiffen und Gebäuden umherwimmelten. »Wie viele leben dort?«, flüsterte er.
»Tausende.« Bayaz zuckte die Achseln. »Hunderttausende. Menschen aus allen Ländern des Weltenrunds. Hier gibt es Nordmänner, aber auch dunkelhäutige Kanteser aus Gurkhul und noch weiter südlich. Leute aus dem alten Kaiserreich, weit im Westen, und Kaufleute der freien Städte Styriens. Und noch andere, aus noch entfernteren Landen – den Tausendinseln, dem fernen Suljuk und Thond, wo sie die Sonne anbeten. Mehr Menschen, als man zählen kann – sie leben, sterben, arbeiten, vermehren sich und klettern aufeinander herum. Willkommen«, Bayaz breitete die Arme aus, wie um die monströse, die wundervolle, die endlose Stadt zu umfassen, »in der Zivilisation!«
Hunderttausende. Logen hatte Mühe, das zu begreifen. Hundert … tausende. Konnte es auf der Welt überhaupt so viele Menschen geben? Er sah zur Stadt hinüber, sah sich um, staunte, rieb sich die schmerzenden Augen. Hunderttausend Menschen – wie würde das aussehen?
Eine Stunde später wusste er es.
Nur im Schlachtgetümmel war Logen bisher so gedrückt, behindert, an andere Menschen gedrängt worden. Es war wie eine Schlacht, hier unten an den Kais – Schreie, Wut, Gedränge, Angst und Verwirrung. Eine Schlacht, in der es keine Gnade gab und die kein Ende und keinen Gewinner kannte. Logen war an den freien Himmel und die frische Luft gewöhnt, und daran, mit sich allein zu sein. Schon am Anfang ihrer Reise, wenn Bayaz und Quai neben ihm geritten waren, hatte er sich eingeengt gefühlt. Jetzt waren da Menschen auf jeder Seite, die schubsten, drängelten, schrien. Hunderte! Tausende! Hunderttausende! Konnten sie wirklich alle Menschen sein? So wie er, mit Gedanken und Launen und Träumen? Gesichter näherten sich und glitten vorüber – bitter, angespannt, ärgerlich –, und in einem Übelkeit erregenden Strudel von Farben waren sie sofort wieder verschwunden. Logen schluckte, blinzelte. Seine Kehle war schmerzhaft ausgedörrt. Vor seinen Augen drehte sich alles. Das musste die Hölle sein. Zwar verdiente er es, dort hinzukommen, aber er erinnerte sich nicht an seinen Tod.
»Malacus!«, zischte er verzweifelt. Der Lehrling wandte sich zu ihm um. »Haltet einen Augenblick an!« Logen zerrte an seinem Kragen und versuchte, sich ein wenig Luft zu verschaffen. »Ich kann nicht atmen!«
Quai grinste. »Das liegt vielleicht am Gestank.«
Vielleicht war es das. An den Kais roch es fürchterlich, das stand fest. Nach stinkendem Fisch, süßlichen Gewürzen, verrottendem Obst, frischem Pferdemist, schwitzenden Pferden und Maultieren und Menschen, und all das vermischte sich, verstärkte sich noch unter der heißen Sonne und war schlimmer zu ertragen als ein einziger dieser Düfte für sich genommen.
»Weg da!« Eine Schulter schubste Logen ungeschlacht zur Seite und war dann wieder verschwunden. Er lehnte sich gegen eine schmutzige Wand und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
Bayaz lächelte. »Das ist etwas anderes als das weite Ödland im Norden, was, Neunfinger?«
»Ja.« Logen sah den Leuten zu, die sich vorbeidrängten, den Pferden, den Karren, den endlosen Gesichtern. Ein Mann sah ihn misstrauisch an, als er vorbeiging. Ein Junge zeigte auf ihn und rief etwas. Eine Frau mit einem Korb machte einen weiten Bogen um ihn und starrte ihn ängstlich an, als sie eilig weiterlief. Jetzt, da er einen Augenblick zum Nachdenken hatte, merkte er, dass sie ihn alle anstarrten, auf ihn zeigten und glotzten, und sie sahen nicht gerade glücklich aus.
Logen beugte
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