Kriegsklingen (First Law - Band 1)
anderen Sklaven hinüber. »In Schaffa werden sie zwanzig für sie kriegen!«, rief er über seine Schulter. Die Gruppe zog weiter. Ferro sah dem Mädchen nach, bis die Menschen über eine Anhöhe verschwanden, stolpernd, humpelnd, sich in die Sklaverei schleppend.
Jetzt fühlte sie sich kalt, kalt und leer. Sie wünschte, sie hätte den Wachmann umgebracht, ganz gleich, was dann passiert wäre. Ihn zu töten, das hätte die große Leere in ihr gefüllt, wenn auch nur für eine Weile. So war es nun einmal. »Ich bin in einem solchen Zug gegangen«, sagte sie langsam.
Yulwei stieß einen langen Seufzer aus. »Ich weiß, Ferro, ich weiß, aber das Schicksal hat beschlossen, dich zu retten. Sei dankbar dafür, wenn du weißt, wie das geht.«
»Du hättest zulassen sollen, dass ich ihn töte.«
»Ih«, rief der Alte angeekelt aus, »ich muss schon sagen, du würdest wohl die ganze Welt töten, wenn du könntest. Ist denn außer dem Töten gar nichts in dir, Ferro?«
»Es war mal etwas da«, murmelte sie, »aber das peitschen sie aus dir raus. Sie peitschen dich, bis nichts anderes mehr da ist.« Yulwei stand da, mit diesem mitleidsvollen Gesichtsausdruck. Seltsam, dass sie das jetzt gar nicht mehr so wütend machte.
»Es tut mir leid, Ferro. Für dich und für sie.« Er ging zurück auf die Straße und schüttelte den Kopf. »Aber es ist besser als der Tod.«
Sie wartete noch kurz und sah zu, wie sich der Staub legte, den der Sklavenzug aufgewirbelt hatte.
»Es ist dasselbe«, flüsterte sie so, dass nur sie es hörte.
AUSSENSEITER
Logen lehnte sich gegen die Brüstung, blinzelte in die Morgensonne und ließ den Ausblick auf sich wirken. Dasselbe hatte er schon einmal getan, es kam ihm jetzt sehr lange her vor, als er auf dem Balkon seines Zimmers in der Bibliothek gestanden hatte. Das, was damals und heute zu seinen Füßen lag, hätte unterschiedlicher nicht sein können. Ein Sonnenaufgang über dem zerklüfteten Teppich von Gebäuden auf der einen Seite, heiß, gleißend hell, begleitet von fernem Lärm. Das kalte und neblige Tal auf der anderen, weich und leer und still wie der Tod. Er erinnerte sich an diesen Tag, und er wusste noch, dass er sich wie ein ganz anderer Mensch gefühlt hatte. Auch jetzt fühlte er sich wie ein anderer Mensch. Ein dummer Mensch. Klein, verängstigt, hässlich und verwirrt.
»Logen.« Malacus trat auf den Balkon und stellte sich neben ihn, lächelte zur Sonne empor und über die Stadt bis hin zur schimmernden Bucht, auf der bereits eine ganze Reihe von Schiffen unterwegs war. »Wunderschön, nicht wahr?«
»Wenn Ihr meint. Ich bin nicht sicher, ob ich diese Schönheit sehe. All diese Menschen.« Logen überlief ein Schauer. »Das ist nicht richtig. Es macht mir Angst.«
»Angst? Euch?«
»Die ganze Zeit.« Logen hatte seit ihrer Ankunft kaum geschlafen. Hier war es nie richtig dunkel, nie richtig still. Es war zu heiß, zu eng, zu stickig. Feinde konnten einem Angst einjagen, aber Feinde konnte man bekämpfen und aus dem Weg räumen. Logen verstand ihren Hass. Die gesichtslose, achtlose, summende Stadt konnte man nicht bekämpfen. Sie hasste alles. »Das hier ist kein Ort für mich. Ich werde froh sein, wenn wir wieder abreisen.«
»Das könnte noch eine Weile dauern.«
»Ich weiß.« Logen atmete tief durch. »Deswegen werde ich jetzt runtergehen, mir diesen Agriont ansehen und versuchen, alles darüber herauszufinden. Es gibt Dinge, die muss man eben tun. Besser, man tut sie gleich, als dass man lange in Angst vor ihnen lebt. Das hat mein Vater mir immer gesagt.«
»Ein guter Rat. Ich komme mit Euch.«
»Das werdet Ihr nicht.« Bayaz stand in der Tür und sah seinen Zauberlehrling durchdringend an. »Eure Fortschritte in den letzten Wochen sind beklagenswert, selbst für Eure Verhältnisse.« Er trat an die frische Luft. »Ich schlage vor, während wir hier faul herumsitzen und auf die Entscheidung seiner Majestät warten, nutzt Ihr die Gelegenheit und widmet Euch Euren Studien. Es mag eine Weile dauern, bis dazu wieder Zeit sein wird.«
Malacus eilte wieder ins Zimmer zurück, ohne sich noch einmal umzusehen. Er wusste, dass man sich mit seinem Meister besser nicht anlegte, wenn er in einer solchen Stimmung war. Bayaz’ gute Laune war völlig verflogen, seit sie den Agriont erreicht hatten, und es sah nicht so aus, als ob sie bald zurückkehren würde. Logen konnte ihm deswegen kaum einen Vorwurf machen, denn schließlich hatte man sie mehr wie Gefangene denn wie
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