Kriegssinfonie Band 1: Soldat (Die Kriegssinfonie) (German Edition)
diesem Ort, zu lernen und besser zu werden. Die erste Zeit über unterlag er regelmäßig. Gravierende Verletzungen hatte er sich nie zugezogen. Nur als er mit einer gebrochenen Nase und ein anderes Mal mit einer ausgekugelten Schulter vom Feld gekrochen war, hatte er sich eine Auszeit von einigen Tagen gegönnt. Er hatte die Heilung mithilfe seiner Schattenfähigkeiten beschleunigen können, doch die Leute erwarteten, dass ihm die Verletzungen mehr zusetzten, also hatte er auf den Unterricht der besonderen Art eine Weile verzichtet.
Im Strandlager fühlten sich Maerkyn und Shade nicht so isoliert wie in der Kaserne. Die Menschen waren offener, da sie zumindest an diesem Ort nicht in direktem Konkurrenzkampf zueinanderstanden und nur voneinander profitieren konnten.
In Gedanken versunken ging Shade seines Weges, als ihn eine Bewegung im Schatten zwischen zwei Zelten in die Gegenwart zurückholte.
Eine Frau stand dort. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte die blasse Mondsichel an, die bereits über das Firmament kletterte. Shade wollte gerade weitergehen, da er wirklich ein Bad benötigte, als ihm die zähe Flüssigkeit auffiel, die langsam an den Schultern der Frau hinunterlief. Mit normalen Augen wäre ihm dieses Detail nie aufgefallen, doch seine Fähigkeit, in der Dunkelheit zu sehen wie eine Eule, ermöglichte es ihm, die Umgebung gestochen scharf wahrzunehmen. Er blieb stehen und beobachtete die weibliche Gestalt genau. Eine Furche entstand auf seiner Stirn.
Etwas stimmte nicht.
Die Haltung der Frau wirkte verkrampft. Während sie zum Mond starrte, schwankte sie leicht. Shade zögerte, dann machte er einen Schritt auf sie zu. Er war zwar Arzt, hatte diesen Umstand bis jetzt jedoch nie erwähnt. Das Lager besaß zwei eigene akzeptable Heiler. Er konnte die Frau einfach in das betreffende Zelt bringen und wieder verschwinden.
Entschlossener ging er auf die Frau zu und tippte ihr auf die Schulter. Er ließ einige Herzschläge verstreichen, ehe er um sie herumtrat, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
Scheint betrunken zu sein und hat sich wahrscheinlich selbst verletzt. Man könnte meinen, eine Kriegerin wisse es besser, als ihrem Körper so etwas anzutun.
Den Mund leicht geöffnet, die Augen aufgerissen starrte die Frau unverwandt den Mond an. Shade überkam erneut das Gefühl, einfach wegzugehen. Er hätte beinahe klein beigegeben, als er sich fragte:
Warum weglaufen?
Also schnippte er ein-, zweimal mit den Fingern, um die Aufmerksamkeit der Frau auf sich zu ziehen. Tatsächlich senkten sich die Augen mit den tiefgrünen Regenbogenhäuten langsam und starrten dann direkt durch ihn hindurch. Die Pupillen waren weit geöffnet und der Blick war leer. Shade musste ein Schaudern unterdrücken.
Kein Alkohol, sondern Drogen. Aber was für welche?
Er musterte die Gestalt vor sich eingehend. Es fiel ihm schwer, ihre Herkunft zu erraten. Ihre Haut war zu hell, um tief aus dem Süden zu stammen. Die grünen Augen sprachen auch gegen diese Herkunft. Ihr Haar war dunkelbraun und leicht gewellt. Doch statt den stämmigen Körperbau einer Korinterin oder einer Nordländerin zu haben, war sie von einer feingliedrigen Gestalt, ähnlich wie die der Inselbewohner. Shade wusste, dass eine Frau nicht viel Muskelmasse besitzen musste, um ihren Körper in eine letale Waffe zu verwandeln und er zweifelte keinen Moment daran, dass diese Person ihm durchaus gewachsen sein könnte.
Wenn sie nüchtern wäre.
Das Starren der Frau machte ihn nervös und er feuchtete seine ausgetrockneten Lippen an. Als wenn ein Türchen in seinem Hinterkopf aufgegangen wäre, erkannte er plötzlich die Symptome und heiße Wut flammte in seinem Körper auf.
Ohne groß nachzudenken, hob er die Frau, deren Körper kalt wie Eis war, hoch und hastete in großen Sätzen zu seinem Zelt zurück. Während er lief, schossen ihm Bilder durch den Kopf. Bilder von Mädchen, zugedröhnt und völlig willenlos. Er hatte sie vergessen. Wie hatte er sie vergessen können? Diese schrecklichen Erinnerungen!
Eliane. Es war damals geschehen. Als sie ihren Sieg in der kleinen Hauptstadt gefeiert hatten. Während auf dem Schlachtfeld noch Blut die Erde besudelt hatte, hatten sämtliche Freudenhäuser für die siegreichen Soldaten geöffnet. Natürlich hatte es nicht genug Prostituierte gegeben, um die Gelüste der Männer, durch deren Adern noch das Adrenalin schoss, zu befriedigen. Also hatten die Offiziere unter Johlen normale Mädchen in die Häuser
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