Kriegssinfonie Band 1: Soldat (Die Kriegssinfonie) (German Edition)
die vielen neuen Fragezeichen, doch schlussendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als einzulenken.
Auch der Kapitän der Breeze schien das Ereignis nach einigen Tagen bereits verdrängt zu haben. Beharrlich behielt er seine Gedanken über den Vorfall während der gemeinsamen Essen bei sich.
Der junge Mann fragte sich nicht zum ersten Mal, warum ihn solche Dinge nicht kalt ließen. Die anderen brachten dieses Kunststück schließlich fertig. Ihre Abgestumpftheit bereitete ihm bis zu einem gewissen Grade jedoch auch Unbehagen. Interessierten sie sich einfach nicht für ihre Umwelt oder lag es daran, dass sie es nicht tun wollten, weil es zusätzliche Probleme bedeutet hätte? !
Diese Frage begleitete ihn, bis er in Delfan von Bord ging. Die Reise mit dem Schiff hatte dreizehn Tage gedauert. Bei ihrer Ankunft in der Hafenstadt regnete es heftig und die Gesellschaft floh rasch in einen Gasthof, der gleich hinter den Anlegestellen für die Schiffe lag. Mythos, Cam und Ash blieben bei der Breeze zurück und beobachteten das Verladen ihrer Ware. Wo die Baumwolle tatsächlich hinging, wusste Shade nicht. Es interessierte ihn jedoch auch nicht. Er freute sich darüber, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Körperlich hatte ihm die Überfahrt zwar nicht zugesetzt, aber die endlose Weite und die enormen Wassermassen hatten ihn auf unerklärliche Weise eingeschüchtert.
Der Gasthof war gut gefüllt, doch bevor sie eintraten, entledigten sie sich ihrer bunten Gewänder und schlüpften wieder in ihre Tempelkleidung. Shade seufzte glücklich auf – er hatte das Gefühl, Hosen zu tragen, vermisst. Rock organisierte die Räume für sie, obwohl sie nicht wussten, wie lange sie bleiben würden. Den Rest des Tages hielten sich die sieben Tempelbewohner in der Gaststube auf. Shade setzte sich so weit wie möglich entfernt von Queen auf einen grob behauenen Stuhl.
Das Tagesmenü bestand aus gekochtem Schinken, der auf Sauerkraut gebettet lag. Shade aß mit Appetit – er war nicht wählerisch, was das Essen anbelangte. Als er damit fertig war, beobachtete er die Menschen im Raum. Er konnte viele Reisende unter ihnen erkennen. Männer mit schlammbespritzten Umhängen, verdreckten Stiefeln und verfilzten Haaren. Eng an den riesigen Kamin gedrückt, saß eine Familie, die kostbare Seidengewänder trug. Ihre Blicke wirkten eingeschüchtert – wie die von Rehen, die man in einen Zwinger gesperrt hatte. Ihre Taschen und Säcke an sich gepresst, schienen sie auf etwas zu warten. Das Essen, das vor ihnen lag, war unberührt. Shades Blick schweifte weiter zu zwei streitenden Schankmädchen. Beide waren recht hübsch und der junge Arzt genoss es, den beiden beim Gestikulieren und Ausrufen zuzusehen. Wäre er alleine unterwegs gewesen, hätte er sich nicht geziert und sich der Schwarzhaarigen mit den vollen Lippen, die sie so niedlich zu einem Schmollmund verziehen konnte, genähert. Etwas Wichtiges kam ihm in den Sinn; das Bild einer Frau, die ähnlich aussah wie die eben Beschriebene. Shade runzelte angestrengt die Stirn, doch das Bild verflüchtigte sich rasch wieder. Das Einzige, was zurückblieb, war ein Gefühl des Verlustes. Nachdenklich spielte er mit der Schiene an seinem rechten Unterarm herum.
Etwas stimmte ganz und gar nicht, das spürte er seit Längerem. Er kam jedoch nicht darauf, was es war. Es hatte mit den Träumen zu tun, die ihn immer noch verfolgten. Ihm kam es unwahrscheinlich vor, dass er während des Schlafens nur diesen einen Traum hatte. Alles, woran er sich beim Aufwachen jedoch erinnern konnte, war dieser eine Albtraum. Die Handlung blieb stets die gleiche. Manchmal aber veränderten sich Details. Zum Beispiel waren seine Eltern halb verweste Leichen, die ihn abholten und in das Innere des Hauses brachten. Oder die beiden Unbekannten begannen ihn, anstatt zu verstümmeln, wie sie es immer taten, zu fressen.
Shade war noch nicht hinter die Bedeutung dieser Traumbilder gekommen. Nun, da sie das Schiff verlassen hatten, hoffte er, dass er den Tag über zu beschäftigt sein würde, um darüber zu grübeln.
Was sie in Delfan zu schaffen hatten, wusste er noch nicht. Mythos hatte bloß gesagt, dass sie in der Heldenkrone auf einen Mittelsmann warten mussten. Shade hielt diese Ungewissheit nur schwer aus, aber schlussendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben.
„Lust auf ein Kartenspiel?“, fragte ihn Flex unvermittelt.
Kartenspiel? Warum nicht.
„Aber du musst es mir
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