Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
gebundenen Händen in die Normannenzelte geschleppt worden sind.
Man darf nie, keinen Augenblick, hier und immer wieder, vergessen, daß all dies Teil der
Heilsgeschichte
ist!
Tausende von Römern, hoch und nieder, ja Kinder schon, wurden, an Stricken hängend, wie Vieh durch die Sarazenen des katholischen Herzogs in die Sklaverei verkauft – während Gregor (man kennt analoges Verhalten noch von Päpsten des 20. Jahrhunderts!) nicht im geringsten versuchte, irgend etwas zu retten, zu verhindern. 75
Im Gegenteil. Papst und Herzog machten Jagd auf andere Objekte. Sie nahmen gemeinsam Burgen und Städte in der Umgebung Roms, ohne sich allerdings des festen Tivoli bemächtigen zu können, wohin Clemens III. ausgewichen war. Keine Schreckens- und Schandtat der Belagerer führte zum Erfolg. Und als der Normannenfürst schon lange Rom verlassen hatte, lag es noch lang in Sumpf, in Trümmern, in einem Zerfall fast ohnegleichen. »Kaum weiß ich«, läßt ein französischer Erzbischof die ruinierte Stadt klagen, »was ich gewesen bin; kaum erinnere ich, Roma, mich der Roma; kaum läßt der Untergang es zu, auch nur meiner zu gedenken.«
Flucht und Ende
Gregor VII., um dessentwillen ein großer Teil der Stadt in einen Schutthaufen verwandelt, niedergebrannt und ausgemordet worden war, konnte nicht mehr in Rom bleiben; vermutlich hätte man ihn ob all des Elends zerrissen. Um vor der Volkswut sicher zu sein, zog er im Juni mit Robert Guiscard davon, befreit von Normannen und Moslems, die ungezählte Beutewagen und Scharen seiner römischen Schäfchen in Gefangenschaft und Sklaverei führten.
Gregor ging nach Salerno, dessen Einnahme durch Robert er doch bis zuletzt nicht anerkannt hatte, berief noch eine Synode ein, schleuderte noch einen Fluch gegen den deutschen König und dessen Papst, »den Häresiarchen Wibert«, und schickte ein entsprechendes Schreiben nach Frankreich, seine »letzte große Kundgebung« (Meyer von Knonau), worin es hieß: »Ich rufe, ich rufe und ich rufe abermals und verkündige Euch, daß die christliche Religion und der wahre Glaube, den der Sohn Gottes vom Himmel kommend durch unsere Väter uns lehrte, in eine weltliche verderbte Gewohnheit verkehrt, weh! o Schmerz!, fast zu nichts herabgekommen und, unter Änderung der alten Farbe, nicht nur in des Teufels, sondern auch in der Juden und Sarazenen und Heiden Gespött gefallen ist.« Und noch einmal klingt die Klage über seine Ohnmacht durch, der Wunsch nach Märtyrern für seine Sache, nach Krieg und Sieg: »Welche und wie viele sind es, die aus Furcht und Liebe zum allmächtigen Gott, in dem wir leben, weben und sind, nur so weit sich abmühen oder bis zum Tode arbeiten, wie die weltlichen Krieger für ihre Herren oder auch für ihre Freunde und Untergebenen?«
Vergeblich strebte der Papst nach Rom zurück, wo sich sein Rivale Clemens III. durchgesetzt hatte.
Am 25. Mai 1085 starb Gregor VII., den viele christliche, vor allem katholische Theologen und Historiker in den Himmel heben, nicht selten den größten aller Päpste nennen, ein »homo religiosus« für sie, ein »Gottgebundener von lauterer Größe« (Bernhart), dessen »edle Seele ... hoch erhaben über dem trüben Erdenschmutz« stand (Grupp); »kein Mann der Politik, sondern ein bis zu mystischer Glut von der Verantwortung seines Amtes als Leiter der Seelen erfüllter Papst«, einer, der »so sehr dem entsprochen, was der Welt nottat, daß die Völker gern bereit waren, sich von den Päpsten leiten zu lassen. Zu deutlich stand es vor aller Augen, daß das Papsttum eine echte moralische Autorität, ein Schutz des Rechtes und eine Zuflucht der Bedrückten war« (Neuss). 76
Besser Königstreue töten als Heiden
Der große Krieg zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. wurde auch literarisch vehement geführt und tobte weit über den Tod des Papstes hinaus. Verfaßte man doch überhaupt im 11. Jahrhundert (und den beiden folgenden Jahrzehnten) mindestens fünfmal so viele Geschichtswerke wie im Jahrhundert zuvor. Und die Autoren der Streitschriften-Literatur – nicht zufällig eine Gattung von mehr alter als ehrwürdiger christlicher Tradition – waren in beiden Lagern fast ausnahmslos Kleriker, die jeweils auf Bibel und Kirchenrecht insistierten.
Für Heinrich IV. stritten u.a. Bischof Wido von Osnabrück, der Scholasticus Wenrich von Trier, der 1090 vielleicht Bischof von Piacenza wurde, der Ravennater Jurist Petrus Crassus. Als Gregorianer traten in Italien Kardinal Deusdedit
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