Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
sowie die Bischöfe Anselm II. von Lucca und Bonizo von Sutri in den Ring; in Deutschland der Priestersohn Bernold von St. Blasien (oder Konstanz; gest. 1100) und Manegold von Lautenbach (gest. nach 1103).
Der hochgelehrte Propst des Augustinerchorherrenstifts zu Marbach im Elsaß engagierte sich in zwei Streitschriften leidenschaftlich für Gregor und wetterte besonders in seinem dem Salzburger Erzbischof gewidmeten Traktat »Liber ad Gebehardum« mit allem Gift und Geifer gegen den Scholastiker Wenrich. Papststreiter Manegold erlaubt nicht nur, wie bisher, den »gerechten« Krieg fürs Vaterland, sondern auch den für die Heiligen Väter. »Wer nicht aus persönlicher Rache oder Habgier, sondern als Helfer katholischer Fürsten, in öffentlichem Kampf für das Vaterland, die Gerechtigkeit oder den apostolischen Stuhl oder in Ausübung gerichtlicher Funktionen einen Heinricianer tötet, begeht nichts Unrechtes.« Das Papsttum gilt jetzt soviel wie das Vaterland, wenn nicht mehr, während das Königtum nur in Gestalt der »Heinricianer« erscheint, von denen der Papstdefensor sagt, daß sie »verabscheuungswürdiger sind als offene Heiden«. Somit ist auch »der, der einen von ihnen zur Verteidigung der Gerechtigkeit tötet, noch weniger schuldig, als wer einen Heiden tötet«. 77
Die publizistische Polemik gegen Gregor VII. kulminierte in Deutschland in dem (1519 von Ulrich von Hutten entdeckten) »Liber de unitate ecclesiae conservanda«, den ein unbekannter Hersfelder Mönch 1092/1093 zur Rechtfertigung Heinrichs IV. schrieb. Weniger um Gregor, den der Verfasser keineswegs schont, geht es hier als um den deutschen Bürgerkrieg; um das Unrecht der Christenheit, die Kontroverse mit dem Schwert auszufechten. Zwar sage man, »es sei Sache des Glaubens und der Gläubigen in der Kirche, diejenigen zu töten und zu verfolgen, die mit dem gebannten König Heinrich verkehren oder ihm anhängen und davon nach den Bemühungen der päpstlichen Partei nicht abgehen«. Doch der unbekannte Autor beruft sich auf die Bergpredigt, auf die Seligpreisung der Friedfertigen, und attackiert die gregorianischen Bischöfe, die Prälaten von Magdeburg, Halberstadt, Salzburg, die keine Kirchenhirten, sondern Heerführer seien, Mörder des Leibes und der Seele.
Man sieht, auch damals war ein pazifistisches Ethos möglich, wie zu jeder Zeit – zum Beispiel auch zu neutestamentlicher.
Es ist bedauerlich, doch vielleicht kein Zufall, daß eine von Wibert um 1085 verfaßte, in das publizistische Gefecht eingreifende Diatribe nur aus Texten Anselms von Lucca und Widos von Ferrara partiell zu erschließen ist. Nach Wibert, der damit die Meinung vieler vertritt, hat der von früh an ins Waffenhandwerk vernarrte Gregor die Kriegsfurie nach Deutschland gebracht und die Ritter gegen ihre Herren aufgewiegelt, hat überhaupt kein Christ so viel Blutvergießen heraufbeschworen. Daß er derart die römische Kirche verteidigen, befreien wolle, läßt der Rivale nicht gelten, denn: »Christlich ist, zu lehren, nicht Krieg zu stiften, das Unrecht gleichmütig zu dulden, nicht es zu rächen. Nichts von jenem tat Christus, nichts irgendeiner der Heiligen.« Gestützt auf biblische und patristische Gedanken, geißelt Wibert die blutige Art der Evangelienverkündung Gregors und verteidigt sein eigenes pazifistisches Ethos. Freilich führt Anselm von Lucca in seiner Replik ganz gegenteilige Väterworte ins Feld, läßt sich doch mit frommen christlichen Sprüchen so gut wie alles und jedes beweisen. Immerhin fegt Wibert selbst die seit Augustin unbestrittene Idee des »gerechten Krieges« beiseite (vgl. I 514 ff.). 78
Der Kampf gegen Heinrich wurde in Deutschland besonders durch das von den Grafen von Calw gegründete Reformkloster Hirsau im Schwarzwald geschürt. Seine Mönche zogen als Wanderprediger bis nach Kärnten und Sachsen, und agitierten überall, zumal an den Sitzen des Adels, unter dem Anschein religiöser Aufklärung gegen Heinrich und seinen Papst Clemens III., den sie in einer Schrift Lügner schimpften, Ketzer, Dieb, dem Teufel oder einem Götzenbild ähnlich.
Alle Schriftsteller aber dieser doch so tief christgläubigen Zeit, Heinricianer und Gregorianer, stimmen über die grauenhaften Zustände in Reich, Kirche und Gesellschaft überein. Der Krieg zwischen dem katholischen Königtum und dem römischen Papsttum erschütterte halb Europa. Fast jedes Bistum, jedes Kloster war der Schauplatz von Gewalt und Verwüstung, Kirchen wurden
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