Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
in Pavia noch zu einer folgenreichen Synode mit Kaiser und Papst.
Die Synode von Pavia 1022 – gnadenloser Kampf gegen den eigenen Klerus aus purer Macht- und Profitsucht
Es ging dabei um Priesterehe, Zölibat; genauer um die Sicherung des Kirchengutes durch Ehelosigkeit des Klerus und die Verknechtung der Söhne kirchenhöriger Priester.
Seit langem zwar spricht die Überlieferung vom Zölibat. Im Neuen Testament aber ist davon nirgends die Rede. Im Gegenteil. Bischof und Diakon müssen,
so lehrt die Bibel,
verehelicht sein (unius uxoris vir), und warnt ausdrücklich vor Falschlehrern, die zu heiraten verbieten. Die Urapostel führten ihre Frauen noch als Missionare mit, und die älteste Kirche hat nirgends zur Ehelosigkeit verpflichtet. Die Mehrzahl des frühchristlichen Klerus war verheiratet, jahrhundertelang sind die Geistlichen Familienväter.
Doch im 4. Jahrhundert treten die Synoden von Ankyra in Galatien, Gangra in Paphlagonien u.a. für die Priesterehe ein. Noch im 5. Jahrhundert zeugten viele Bischöfe Kinder. Selbst Kirchenlehrer Gregor von Nazianz war ein Bischofssprößling.
Im ganzen (theologisch führenden) Orient ließ man sich nicht das Zölibat aufschwatzen. In England ist noch im 8. und 9. Jahrhundert die Ehe von Bischöfen gewöhnlich. Und selbst in Rom gibt es im 10. Jahrhundert nicht wenige Priestersöhne, die Päpste werden, ja, einige Päpste waren die Söhne von Päpsten, wie Papst Silverius (536–537) oder Papst Johann XI. (931–935). Und noch Mitte des 11. Jahrhunderts ist die Ehelosigkeit eines Geistlichen etwa im großen Bistum Mailand »eine überaus seltene Ausnahme« (Hirsch). 91
Auf der anderen Seite bestand jedoch längst eine auf Askese, Frauenfeindschaft, erhöhtes Ansehen, auf Macht und Profit bedachte Partei, die schonungslos die Priesterehe bekämpfte. Nicht die kultische Motivation freilich, der aus dem Paganismus stammende Reinheitswahn, gab den Ausschlag, sondern die vermögensrechtliche, finanzpolitische: Zölibatäre kamen die Kirche billiger als Familienväter; wobei noch wichtiger die ständige freie Verfügbarkeit der Hierarchen über einen unbeweibten Klerus war.
So bewachte und bespitzelte man die Diener Gottes bald Tag und Nacht. Man setzte die verschiedensten Zwangsmittel gegen sie ein: Fasten, Geldstrafen, Exkommunikation, Infamerklärung, Folter, jahre- oder lebenslange Kerkerhaft, Erbunfähigkeit, Verknechtung. Man beraubte verheiratete Geistliche ihrer ganzen Habe, ja, tötete sie immer wieder – bis in die Neuzeit hinein. Noch Melanchthon bezeugt, daß man »die ehrenhaften Priester ermordet wegen frommer Ehe«.
Ihre Frauen aber, allmählich nur noch als »notorische Konkubinen« geltend, wurden gepeitscht, verkauft, versklavt; sie gingen mit ihrem gesamten Besitz auf die Bischöfe über und verloren gleichfalls das Erbrecht. Ebenso entrechtete man ihre Kinder seit der ausgehenden Antike immer mehr. Tausende und Abertausende von Priesterfamilien riß die sich »reformierende« Ecclesia einzig und allein um ihrer Herrschaft, ihres Reichtums willen rücksichtslos ins Elend und griff dabei selbst zu Feuer und Schwert. 92
Bereits die neunte Synode von Toledo beschloß 655 nicht nur die Erbunfähigkeit aller Priesterkinder, sondern sie mußten auch »auf immer als Sklaven der Kirche gehören, bei der ihre Väter, die sie schandmäßig erzeugten, angestellt waren« (in servitutem eius ecclesiae decuius sacerdotis vel ministri ignominio nati sunt jure perenni manebunt). Somit hatten schon seinerzeit in den westgotischen Gebieten alle Nachkommen von Geistlichen, gleichgültig ob mit freien oder unfreien Frauen gezeugt, keinerlei Erbrecht mehr und wurden lebenslänglich der Kirche versklavt. 93
Diese gemeine Entrechtung der Klerikerkinder zum materiellen Vorteil der Kirche beschließt unter Heinrich II. anno 1019 auch die Synode zu Goslar, wobei der hl. Kaiser den Mitvorsitz führte. Die Synodalen, die Erzbischöfe Gero von Magdeburg, Unwan von Bremen, die Bischöfe von Halberstadt, Oldenburg, Minden, Münster, Schleswig, Hildesheim u.a., diskutierten damals die Frage, ob ein Priester unfreien Standes, der mit einer Freien verheiratet sei, sein Amt »zu schändlichem Gewinnstreben« mißbrauchen dürfe, »indem er die Nachkommen aus seiner Ehe dem Dienst seines eigenen Herrn zu entfremden suche«. Natürlich sollte das Gewinnstreben nur zugunsten der Bischöfe und der Kirche sein.
Immerhin berieten die Prälaten in Goslar lange, bis sie »unter dem
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