Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
Diözesanen, »die Gefäße des Teufels«, demolierten und plünderten seinen Palast, die Kapelle, zerschlugen »alle gottesdienstlichen Geräte mit eifernder, nein geifernder Gründlichkeit«, ja griffen den Erzbischof selber mit einer »Wolke von Geschossen« an. Er verbarrikadierte sich im Dom, in der »Kirche des heiligen Petrus«, und konnte dann verkleidet in der Nacht durch ein Mauerloch die Stadt verlassen, für sich und seine Begleiter ganze vier Pferde unterm Leib.
Während die Kölner den König um Hilfe rufen, rückt ihr Heiliger schon mit einem Heer heran, das ihn notfalls »über Haufen von Erschlagenen auf seinen Bischofsstuhl zurückführen« will. Doch die Bürger erbitten Frieden, und Anno verspricht auch, bei aufrichtiger Reue, Vergebung, läßt aber, nach feierlichem Hochamt, alles barfuß und in Bußgewändern vor sich kriechen und kündigt für den nächsten Tag eine Sühne »für das ungeheuerliche Verbrechen nach den kanonischen Vorschriften« an. In der Nacht fliehen mehr als sechshundert Kaufleute, die Soldateska des Bischofs plündert die Häuser der Übeltäter, macht Widerstrebende nieder oder legt sie in Ketten. Anno, der Mann »von bewundernswerter Heiligkeit« (Vita Bennonis), läßt einige scheren, geißeln, verstümmeln, blenden – »willkürliche Racheakte« (His) – und alle mit schweren Vermögensstrafen belegen. Außerdem muß das Volk schwören, ihn gegen jedermann zu verteidigen und die Flüchtlinge stets als schlimmste Feinde zu betrachten, bis sie dem Erzbischof Genugtuung geleistet. »So wurde die Stadt«, schreibt Lampert, »plötzlich fast völlig verödet ...« 25
Den Erzbischof Udo von Trier aber bat Anno »flehentlich«, seinen Bannstrahl gegen die aufständischen Kölner, die »verunreinigte Herde«, auch den Trierer Diözesanen bekannt zu machen, auf daß sie nicht »durch den in den Excommunicirten liegenden Aussatz besudelt werden, sondern daß Ihr diese Leute aus Euren Grenzen wegjagt und fortstoßet, damit nicht die Rede derjenigen, welche gleich wie der Krebs schleicht, die Eurigen bewege, so daß sie etwas von dieser Art gegen Euch zu thun sich erfrechen.«
Wie passend, daß ausgerechnet Gregor VII., doch abermals ein Heiliger, dem hl. Anno nur wenige Monate später versicherte, unter allen Kirchen des deutschen Reiches sei ihm, dem Papst, die Kölner Kirche mit Gewißheit »die liebste Tochter« (dulcissima filia).
Freilich gab der edle Anno dann angesichts seines Todes all den von ihm Vertriebenen »nicht nur die kirchliche Gemeinschaft, sondern auch«, wenn es denn wahr ist, »ihre sämtlichen Güter, die er ihnen weggenommen hat, gütigst zurück« (benignissime restituit). War Anno doch, wie Lampert auch berichtet, »bei allen Guten vor allem deshalb geschätzt, weil er unbeugsam an Recht und Redlichkeit festhielt«, ein Mann, der – die gloriose Doppelbegabung und -begnadung dieser geistlichen Spezies – tagsüber zwar erfolgreicher als alle Bischöfe Kölns seit Gründung der Stadt seinen Geschäften nachging, »die ganze Nacht aber dem Gottesdienst« widmete, ja, »das Wort Gottes so eindrucksvoll, so herrlich« predigte, »daß seine Predigt selbst Herzen von Stein Tränen entlocken zu können schien ...«.
Stand der Brutalist doch schon seit Jahren den Reformern nahe. Er öffnete ihnen seine Klöster von Köln bis Saalfeld; besonders Siegburg, das bald Wundergeschichten über ihn verbreitet, strahlte weithin die »Reform« aus. Und vermutlich in Siegburg, wo man noch heute – niemand zaudere! – Annos Reliquien »im kostbaren Annoschrein« der Pfarrkirche verehren kann, zeichnete ein Geistlicher um 1080/1085 auch das mittelhochdeutsche »Annolied« auf, das zumindest sein Lebensende, wohl zur Förderung der Heiligsprechung, als »imitatio Christi« schildert: »Als ein Löwe saß er vor den Fürsten, als ein Lamm ging er unter Dürftigen.« Und etwa um dieselbe Zeit zeigt die Vita Annonis den sterbenden Hirten treu besorgt um seinen Bischofssitz bis zuletzt: »Heilige Maria! Hilf schnell den Elenden, hilf schnell Köln, hilf schnell der Stadt, die bald untergehen wird.«
Noch im 12. Jahrhundert aber wirft das Volk Anno Raub vor, Ungerechtigkeit, und erklärt seine angebliche Wunderkraft und Heiligkeit als »figmenta« und »falsa«. Rom zögerte denn auch ein wenig mit der Kanonisation »wegen der verwickelten politischen Verhältnisse« (Beissel). Doch die Erinnerungen an den tatsächlichen Anno wurden allmählich verdrängt, alle
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