Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
Liebe nicht entgehen, denn allgemein ging das Gerücht, ein so vertrauliches Verhältnis sei nicht ohne unsittlichen Verkehr erwachsen.«
Es kam zu Erhebungen in Sachsen, Schwaben, am Niederrhein, zu Aufständen der Friesen, der Liutizen. Wichtige Positionen der Krone gingen verloren. Nicht zuletzt, wie stets bei lockerer Führung, erstrebte der Klerus mehr Macht und Privilegien. Zwar hatte der deutsche Papst Viktor II., der frühere Bischof Gebhard von Eichstätt, den Heinrich III. noch sterbend vor versammeltem Hof um Unterstützung des Sohnes gebeten, der Regentin treu beigestanden und die Versöhnung mit Gottfried von Lothringen, Heinrichs entschiedenstem Widersacher, zum Abschluß gebracht (S. 205 f.). Doch dann verschlechterte sich die Beziehung zum Papsttum, wurden seine Nachfolger ohne Mitwirkung der Reichsregierung erhoben. Stephan IX., gedeckt durch die immense Macht seines herzoglichen Bruders, zeigte in Deutschland monatelang seine Einsetzung nicht an, Nikolaus II. suchte und fand die Waffenhilfe der Normannen und erließ 1059 sein reichsfeindliches Wahldekret. Schließlich beendete Agnes' Regentschaft der Staatsstreich des ambitiösen, besitz- und territorial-hungrigen Kölner Metropoliten.
Dieser veritable Heilige, Erzbischof Anno II. (1056–1075), besaß, wie Lampert von Hersfeld rühmt, »jede Art von Tugend in reichstem Maße«, »tiefe Frömmigkeit«, »große Freigebigkeit«, »große Milde« usw.; ist er doch noch für moderne Kirchenhistoriker der fromme, der »menschenfreundliche Kirchenfürst« (Schreiber, Fleckenstein).
Und in Wirklichkeit?
Wie ungezählte Päpste und Bischöfe trieb auch der hl. Anno zur Stärkung seines Einflusses die obligatorische Familienpolitik. Sein Neffe Burchard, ein Schwestersohn, war 1059 Bischof von Halberstadt geworden (und blieb es, bis er 1088 starb). In Magdeburg konnte Anno 1063 seinen Bruder Werner zum Erzbischof wählen lassen, wo er immerhin fünfzehn Jahre saß. Annos Versuch freilich, 1066 auch seinem Neffen Kuno nach der Kölner Dompropstei das Trierer Erzbistum zu verschaffen, scheiterte. Die Trierer Diözesanen stürzten Kuno auf seinem Inthronisationszug bei Bitburg unter Führung des Vogts der Trierer Kirche, eines Grafen Dietrich, von einem Felsen, raubten seine reichen Schätze – und bald geschahen Wunder am Grab des Märtyrers, der Patron des Klosters Tholey und, gleich dem Onkel, heilig wurde (Fest 1. Juni). Immerhin stellten die Steußlinger, denen die Herren entstammten, und die mit ihnen verwandten Linien in knapp achtzig Jahren nicht weniger als drei Bischöfe und drei Erzbischöfe.
Oberhirte Anno, der nicht zufällig schon seit seiner Bamberger Zeit den Patron der Ritter und Reiter, den Drachentöter Georg, besonders verehrte, auch zur Bruderschaft der Bamberger St. Georgenbrüder gehörte, war zwar heilig, aber streitbar. So rang er mit dem Abt von Stablo um den Besitz Malmedys. Er kämpfte mit dem Pfalzgrafen Heinrich, den er gefangennahm, als dieser zur Rückeroberung seiner früheren Stellung im Kölner Erzstift antrat, und machte ihn um 1059 im Kloster Gorze zum Mönch. Als der Pfalzgraf dort ausbrach und erneut gegen Anno vorging, schloß der ihn auf Burg Cochem ein und ließ ihn gefesselt ins Kloster Echternach stecken. 24
Die Kölner haßten ihren Hirten und Heiligen so, daß sie sich 1074 gegen ihn erhoben – eine bemerkenswerte frühe Meuterei deutscher Stadtbürger. (»Trotzdem«, tröstet die neueste Ausgabe des Lexikons für Theologie und Kirche, »sicherten ihm Lebensbeschreibungen ... ein heiligmäßiges Andenken«. Und immerhin auch eine offizielle Kanonisation!)
Anno hatte Ostern mit Friedrich von Münster in Köln gefeiert und wollte dem Kollegen für die Rückreise irgendein geeignetes Kaufmannsschiff zur Verfügung stellen. Dies war wohl gegen jedes Recht, verletzte ein »uraltes Kaufmanns-Privileg« (Stehkämper). Hatte doch schon Kaiser Ludwig der Fromme befohlen, »ihre Schiffe nicht für Unseren Bedarf wegzunehmen«. Die erzbischöflichen Knechte aber beschlagnahmten ein Fahrzeug, überdies ein bereits befrachtetes, und ließen es entladen. Doch nun wehrte sich der herbeigerufene Sohn des Schiffseigners, schlug Annos Leute sowie den herbeieilenden Stadtvogt zurück, zuletzt rebellierte die ganze Bürgerschaft, wobei viele, so Lampert von Hersfeld, »den Anstifter dieses Wütens, den Teufel selber, gesehen, wie er vor dem rasenden Volk daherlief, behelmt und gepanzert, mit einem feurigen Schwert ...«. Annos
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