Kristall der Macht
Kristalle sind von unschätzbarem Wert. Es ist nicht viel, was wir dafür verlangen. Für dich aber bedeutet es unermesslichen Reichtum.«
»Und doch sind es in Notzeiten wie diesen nur schöne Steine«, erwiderte der König. »Mein Volk hungert. Was nützen mir Steine, die man nicht essen kann?«
»Mit Verlaub, Euer Majestät«, mischte sich Triffin in das Gespräch ein. »Wenn die Steine so wertvoll sind, könnten wir in Hanter oder Osmun davon Nahrung kaufen. Oder Waffen, die das Heer so dringend benötigt.«
»Du sagst es ganz richtig, mein lieber General: Wir könnten. Aber Königin Viliana und König Erell haben die Grenzen vor fünf Tagen geschlossen. Es gibt keinen Handel mehr mit ihnen. Und um ein Schiff zu entsenden, bleibt nicht mehr genügend Zeit.«
»Das … das wusste ich nicht.« General Triffin ließ sich auf seinen Stuhl zurücksinken und schaute betroffen drein.
»Heißt das, du willst uns nicht helfen?«, fragte Jamak den König herausfordernd. »Wir bieten dir einen Schatz, und du weist uns ab?«
»Ich habe wahrlich genug hungernde Schmarotzer, die vor den Toren der Stadt herumlungern«, erwiderte König Azenor kühl. »Und ich habe euch auch nicht gebeten herzukommen. In wenigen Tagen wird in der Gonweebene die alles entscheidende Schlacht stattfinden, und bei den Göttern, es sieht nicht gut für uns aus. Wenn ihr mir Waffen geboten hättet, viele Waffen, einen mächtigen Zauber, der die drohende Niederlage abzuwenden vermag, oder ein Heer kampferprobter Krieger, dann hätten wir verhandeln können. So aber bietet ihr mir nur wertlosen Tand für noch mehr Schmarotzer …« Er schüttelte den Kopf. »Wenn diese Steine hier das unwiderstehliche Angebot sind, von dem mein General gesprochen hat, sind die Verhandlungen für mich beendet. Ich habe wahrlich Wichtigeres zu tun, als mich mit den Sorgen und Nöten ungebetener Gäste zu beschäftigen.«
Noelani hörte den König reden, verstand aber kaum etwas von dem, was er sagte. Ihr war schwindlig und übel. Seine Worte zogen an ihr vorbei wie Nebelschleier, aus denen die Geister der Toten ihr hämisch zuriefen, erneut versagt zu haben.
Versagt … versagt … versagt …
Weg, geht weg! Noelani war den Tränen nahe.
… wenn ihr mir Waffen geboten hättet, viele Waffen. Einen mächtigen Zauber, der die drohende Niederlage abzuwenden vermag, oder ein Heer kampferprobter Krieger … Azenors Worte hallten in ihren Gedanken nach und entwickelten dort ein Eigenleben. Einen mächtigen Zauber, der die drohende Niederlage abzuwenden vermag … Einen mächtigen Zauber …
Sie spürte, dass eine Lösung irgendwo in diesen Worten lag. Sie waren wie ein Rettungsseil, das ihr Unterbewusstsein ihr zuwarf, dessen Ende sie jedoch nicht fassen konnte, weil das Ausmaß ihres Scheiterns sie fast um den Verstand brachte.
Nicht schon wieder, dachte sie bei sich. Oh, ihr Götter, lasst mich nicht schon wieder gescheitert sein …
»Wir haben einen Zauber, der euch helfen kann!« Samuis Stimme durchdrang wie aus weiter Ferne das Chaos in Noelanis Gedanken. »In den Adern der Maor-Say fließt das Blut mächtiger Zauberinnen, die einst über unsere Insel herrschten. Sie kann …«
»Schweig, du Narr! Du weiß nicht, was du da redest.« Jamaks erboste Stimme brachte Samui zum Verstummen, aber es war zu spät. König Azenors Interesse war geweckt, und er wollte mehr wissen. »Ist das wahr?«, fragte er Noelani.
»Nein, ist es nicht«, antwortete Jamak an Noelanis Stelle. »Der Junge redet Unsinn. Noelani hat nie …«
»Ich habe die Maor-Say gefragt.« Azenor brachte Jamak mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen. »Sie soll antworten.«
Noelani zögerte, unsicher, was sie antworten sollte. Natürlich hatte Samui maßlos übertrieben, indem er sie als Nachfahre von mächtigen Zauberinnen dargestellt hatte, andererseits war es aber auch nicht ganz gelogen, denn obwohl das alte Wissen weitgehend verloren war, gab es doch zumindest einen Zauber, den sie sicher wirken konnte. Einen Zauber, der ursprünglich dazu gedacht war, den Dämon wieder in sein Gefängnis aus Stein zu verbannen, falls er diesem einmal zu entkommen drohte. Einen Zauber, den jede angehende Maor-Say erlernen musste. Er konnte nur mithilfe der fünf Kristalle gewirkt werden und war so mächtig und zerstörerisch, dass er tatsächlich wie eine Waffe angewendet werden konnte.
»Hast du die Sprache verloren?«, hörte sie Azenor fragen. »Was ist? Bist du nun eine Zauberin oder
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