Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Mad.« Seine Kehle wurde eng. »Wenn ich gewusst hätte ...«
Sie wurde so still, als habe sie aufgehört zu atmen. Eine feine Ader pochte heftig an ihrem Halsansatz. Sie sah wie ein verängstigtes Reh aus, bereit wegzulaufen. »Was gewusst hättest?«
»Ich war siebzehn Jahre alt. Was wusste ich vom Leben? Du warst das erste Mädchen, in das ich mich verliebte, und durch dich schien alles so verdammt einfach und leicht zu sein - so, als ob man ein tolles Spielzeug in einer Wundertüte findet.« Er berührte ihre Wange, spürte ihre samtene Weichheit und er lächelte. »Ich wusste nicht, dass ich nie wieder so fühlen würde oder dass du mich verfolgen würdest. Ich wusste nicht, dass ich den Rest meines Lebens damit verbringen würde, von einem Mädchen zu träumen, dem ich davongelaufen war.«
Ihre Blicke trafen sich. Der Ausdruck ihrer Augen war offen und unerschrocken - gänzlich anders als der des jungen Mädchens, in das er sich verliebt hatte. »Ich habe immer verstanden, was du getan hast, weißt du. Ich habe dir sogar ein bisschen vergeben - das dachte ich zumindest, bis du wieder auftauchtest. Mein Vater war ein mächtiger Mann, dem man sich nur schwer widersetzen konnte.« Sie stieß ein heiseres Lachen aus. »Ich weiß das besser als irgendjemand sonst.«
Sie bot ihm einen leichten Ausweg und er wollte ihn nicht nutzen. Vor der Operation hätte er das getan, aber diesmal konnte er es nicht. Es war zu wichtig, dass er ehrlich war - um ihrer beider willen. »Es war nicht dein Vater. Ich hätte mich gegen dieses Arschloch stellen sollen. Ich war es. Ich hatte Angst davor zu schwören, dass ich dich für den Rest meines Lebens lieben würde.« Er schüttelte seinen Kopf. »Ob schwanger oder nicht, ich hätte zu dir stehen müssen. Das wusste ich. Und ich wusste, dass du dein Wort gehalten hättest, wenn du gelobt hättest, mich immer zu lieben. Du hättest mich geliebt...«
In ihren Augen standen Tränen. »Ja.«
»Es hat mir Angst gemacht, Mad. Ich konnte mit deiner Liebe nicht umgehen - nicht mit siebzehn, Teufel auch, nicht einmal im vergangenen Jahr. Ich wusste, dass ich wieder damit anfangen würde, auszurasten, dich betrügen würde, zu viel trinken würde - all die Dinge täte, die ich immer getan habe.« Er trat näher zu ihr und nahm sanft ihr Gesicht in die Hände. »Ich bin nicht mehr dieses verängstigte Kind. Ich weiß jetzt, was ich will.«
»Sag nichts mehr, Angel, bitte ...«
Er wusste, was sie tat. Sie hatte Angst, dass er ihr sagen würde, er liebe sie, und ihr dann wieder das Herz brechen würde. Er wünschte sich, ihr dafür einen Vorwurf machen zu können, aber sie hatte allen Grund, ihr Herz vor ihm zu schützen. Alles, was er tun konnte, war, es immer und immer wieder zu versuchen, bis sie ihm eines Tages wieder glaubte.
Er dachte an all die Dinge, die er ihr in diesem Augenblick sagen könnte, all die Worte, die er aussprechen könnte, um ihr zu vermitteln, dass er sie liebte, aber am Ende waren es nur Worte und die hatte sie schon einmal von ihm gehört. Stattdessen neigte er sich ganz nah zu ihr, nahm ihr feines, schönes Gesicht in die Hände und küsste sie langsam und innig, auf eine Art, die er sich nicht einmal hatte vorstellen können, als sie noch Jungendliche waren. Er hatte nichts von Liebe gewusst. Er hatte damals nicht gewusst, wie sie einem das Innerste verdrehte und einem das Gefühl gab, aus Glas zu sein. Dass man sich manchmal - wie jetzt - so zerbrechlich fühlte, dass ein kräftiger Windstoß einem die Seele zerschlagen konnte.
»Sag etwas«, sagte er leise.
Sie schloss die Faust um die Ohrringe, ließ sie dann geräuschlos zu Boden fallen. »Ich will nicht sprechen. Ich will nur...«
»Was?«, fragte er. »Was willst du? Sag es mir einfach und ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit du es bekommst.«
»Dich«, flüsterte sie. Ein langsames, verführerisches Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. Sie streifte einen Schuh ab - er prallte gegen den Spucknapf in der Ecke. Der andere traf das klauenfüßige Schreibtischbein. »Ich will dich, Angel DeMarco.«
Sein Atem ging in keuchenden, kurzen Zügen. Wäre sein Herz mit dem zentralen Nervensystem verbunden gewesen, wäre es außer Kontrolle geraten. Stattdessen behielt es seinen gleichmäßigen, unerschütterlichen Rhythmus bei. Er schluckte und bemerkte, dass seine Kehle trocken war.
Sie begann, ihren Sweater aufzuknöpfen, und er ergriff ihre Hand. Augenblicklich fühlte er sich wie
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