Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
standen auf der Fensterbank und Fotos von Francis und Lina hingen in Gruppen an der grün gestreiften Tapete. Ein Esszimmertisch aus dem neunzehnten Jahrhundert diente Madelaine als Schreibtisch.
Auf seiner glänzenden Platte standen Fotos von Francis und Lina.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und begann, die dort liegenden Stapel von Papieren durchzublättern. Bevor sie die Hälfte geschafft hatte, klopfte jemand an die Tür.
Sie blickte nicht auf. »Herein.«
Dr. Allenford, der Herzspezialist des Transplantationsteams trat durch die Tür in ihr kleines Büro. »Sie haben wohl für mich nicht zufällig eine Tasse Kaffee?«, fragte er, während er in dem geblümten Besuchersessel Platz nahm.
Sie schüttelte den Kopf. »Leider nein.«
Er fuhr sich mit einer Hand durch sein stahlgraues Haar und seufzte. »Na gut. Rita drängt mich ohnehin, mit dem vielen Trinken aufzuhören.«
Madelaine kicherte und wartete darauf, dass Allenford zur Sache kam.
»Wir haben einen neuen Transplantationspatienten bekommen. «
Madelaine konnte diese Worte nicht oft genug hören. Plötzlich war sie überhaupt nicht mehr erschöpft oder deprimiert, sondern brannte darauf, mehr zu erfahren. »Wirklich?«
»Schauen Sie nicht so aufgeregt drein. Er ist ein großes Risiko. Drogenmissbrauch von Jugend an, Partygänger der Spitzenklasse und Frauenheld - wenn man den Medien Glauben schenken darf-, und er hat definitiv die verkehrte Einstellung.«
»Oh.« Madelaine lehnte sich in ihrem Sessel zurück und musterte den Mann, der sie das meiste von dem gelehrt hatte, was sie zurzeit über Herztransplantationen wusste. Allenford war einer der besten Ärzte auf diesem Gebiet, hoch motiviert, ehrgeizig und talentiert. Wenn Chris sagte, dass der Patient ein großes Risiko darstellte, wusste er, wovon er sprach.
»Die Situation ist kritisch.«
»Status?«
»Vierunddreißigjähriger Mann. HIV-negativ und kein Krebs. Kardiomyopathie im Endstadium. Ich habe gestern die Routineuntersuchungen gemacht und alles sieht gut aus.« Chris beugte sich vor und schob den dünnen Ordner über den Schreibtisch. »Doch wie ich sagte, hat er eine schlechte ... Einstellung. Einer von diesen reichen, berühmten Hollywoodtypen, die glauben, die Welt sei ihnen etwas schuldig.«
Madelaine hatte diese Diskussion mit Chris schon früher geführt. Wie immer dachte Chris zuerst an die Erfolgsquote des Krankenhauses und bewertete die Chancen eines Kandidaten im Hinblick darauf, wie lange er überleben würde, bevor er ein überaus kostbares Herz bewilligte. Madelaine beneidete Chris nicht um die enorme Verantwortung seiner Aufgabe. Jedes Mal, wenn er jemanden als Empfänger für ein neues Herz auswählte, gab es andere Patienten, die wegen dieser Entscheidung wahrscheinlich sterben würden. Einer lebte, einer starb. So einfach war das. Sie konnten es sich nicht leisten, jemandem ein neues Herz einzusetzen, der sich nicht darum kümmerte.
»Ich werde mit ihm sprechen, Chris«, sagte sie.
Er schaute zu ihr auf. Sie verstanden sich mit einem einzigen Blickwechsel sofort. Sie wussten beide, dass sie soeben eingestiegen war und einen Teil seiner Last trug. Ich werde Ihnen sagen, ob er diese Chance bekommen soll.
Es war eine Entscheidung, die kein Mensch jemals über einen anderen treffen sollte, aber doch taten sie das jeden Tag.
»Wir wahren seine Anonymität um jeden Preis. Er ist unter einem Alias eingeliefert worden. Sagen Sie also Ihren Leuten, dass es sie ihren Job kostet, wenn seine Identität oder die Prognose irgendwie an die Presse gelangt.«
»Verstanden.«
»Ich werde mich mit dem Team in Verbindung setzen und es auf Trab bringen. Hilda wird sich mit den restlichen Tests beeilen müssen und ihm schnell Manieren beibringen.« Er schenkte ihr einen raschen, bedeutungsvollen Blick. »Wenn der nicht in Rekordzeit ein Herz bekommt, hat er ein enormes Problem.«
Sie nickte verstehend. »Möchten Sie, dass wir uns heute Nachmittag zum Kaffee treffen, um die Einzelheiten zu besprechen?«
»Sicher. Um vier, falls nichts Unvorhergesehenes passiert.«
»Gut.« Madelaine lächelte ihn an, schlug den Ordner auf ihrem Schreibtisch auf und schaute auf den Namen des Patienten. Angelo Dominick DeMarco.
Sie klappte den Ordner wieder zu, aber nicht schnell genug. Erinnerungen drangen mit einer solchen Heftigkeit auf sie ein, dass sie das Gefühl hatte, er würde vor ihr stehen. Sie erinnerte sich an Angels lautes, meckerndes Lachen und das leichte Schwanken seines
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