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Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft

Titel: Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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zu sein. Jetzt, wo er das Werk des Herrn verrichtete, fühlte er sich wirklich wohl und zufrieden.
    Er wusste, dass er heute Nacht wieder verwundbar sein würde, wenn er allein in seinem Bett lag, lauschte, wie der Wind durch das Dachgesims fuhr, und das Klirren der Fensterscheiben hörte. Der Zweifel würde durch die verschlissenen Vorhänge kriechen und an seiner Seele nagen, und er würde nachdenken und sich Sorgen machen... Er würde an Madelaine und Lina denken und an all die Entscheidungen, die er in seinem Leben getroffen hatte. Er würde daran denken, wie er Madelaine dazu ermutigt hatte, Lina die Wahrheit zu verschweigen, und das Schamgefühl würde ihn erdrücken. Vor allem aber würde ihn die Einsamkeit wie die Mauern einer Festung umschließen. Doch momentan war er glücklich. Deshalb war er eine Stunde früher zu dem Heim hinübergeeilt. Hier und jetzt, mit dem engen weißen Kragen um den Hals und eine Bibel unter den Arm geklemmt, fühlte er sich sicher.
    Er kniete sich auf den harten Grasteppich und sie scharten sich um ihn und sprachen alle auf einmal.
    Fred Tubbs hustete schwer und zog dann ein abgegriffenes Päckchen Spielkarten aus seiner Brusttasche - dasselbe Päckchen, das er seit Jahren schwenkte. »Zeit für ein schnelles Kartenspiel, Vater?«
    Francis grinste. »Sie haben mich schon letzte Woche ausgenommen, Freddy.«
    Der alte Mann zwinkerte. »Ich spiele gerne Karten mit einem Mann, der ein Armutsgelübde abgelegt hat.«
    »Schön, vielleicht eine Partie ...«, sagte Francis. Er wusste, dass Freddy Stunden im Aufenthaltsraum verbracht hatte, Karten spielend, dieselben Familienfotos betrachtend, die er schon Millionen Mal gesehen hatte, immer wieder die Weihnachtskarten und Briefe von geliebten Angehörigen las, die nie die Zeit für einen Besuch hatten.
    Und sie wussten es auch - das konnte er an der Freude in ihren Gesichtern sehen, der Freude darüber, dass man sich an diesem sonnigen Herbstnachmittag einfach an sie erinnerte.
    Er stand auf und griff nach Mrs Bertoluccis Rollstuhl. Sie sprachen noch immer mit ihm, jetzt nacheinander, mit ihren krächzenden, papierdünnen Stimmen, während sie sich zur Eingangstür bewegten. Er wollte die Rampe hochgehen, blieb stehen und sah sich um. »Wo ist Selma?«
    Schweigen. Und er wusste es. Die übliche Traurigkeit stieg in seiner Brust auf.
    »Gestern«, sagte Sally MacMahon, wobei sie den Kopf mit der pechschwarz gefärbten Mähne schüttelte. »Ihre Tochter war bei ihr.«
    Ein erleichtertes Murmeln, weil Selma nicht allein gewesen war.
    »Wir dachten, dass Sie vielleicht eine Messe für sie lesen könnten, Vater«, sagte Fred. »Miss Brine sagte, es sei ihr recht - im Aufenthaltsraum um vier Uhr.«
    Francis streckte seine Hände nach dem Mann aus und drückte dessen schmale Schultern. Er schaute nacheinander in die Gesichter ringsum, auf faltige, altersfleckige Haut und dünnes Haar, auf dicke Brillengläser und Hörgeräte und Perlenketten aus dem billigen Supermarkt und wusste, was sie jetzt von ihm brauchten.
    Glaube. Hoffnung. Kraft.
    Und er musste sie ihnen geben. Das Lächeln, das er ihnen schenkte, war breit und kam aus tiefstem Herzen. »Sie hat jetzt keine Schmerzen mehr«, sagte er sanft und glaubte an die Worte, die er schon so viele Male zuvor gesprochen hatte. »Sie ist bei Gott und den Engeln und bei ihrem Mann. Wir sind es, die Schmerz über ihren Heimgang empfinden.«
    Mrs Costanza legte ihre rötliche, großknöchlige Hand auf Francis' Arm und blickte mit wässerigen Augen zu ihm auf. »Danke, dass Sie gekommen sind, Vater«, sagte sie mit ihrer zittrigen Stimme. »Wir haben Sie gebraucht.«
    Er lächelte in ihr hübsches, von der Zeit gezeichnetes Gesicht und erinnerte sich plötzlich daran, dass sie ihm früher in ihrem Eckgeschäft an der Cleveland Street Blumen geschenkt hatte. Das war hundert Jahre her... und doch kam es ihm vor, als sei es erst gestern gewesen. »Und ich brauche euch alle«, sagte er nur.
     
    Madelaine hielt ihre Tasse mit dem Morgenkaffee vorsichtig fest und winkte den Krankenschwestern zu, während sie über den breiten, mit Linoleum ausgelegten Korridor ging. Sie bog in ihr Büro ab, einen kleinen, kastenförmigen Raum, der im englischen Landhausstil eingerichtet war. Auffällig geblümte Vorhänge in Burgunder- und Grüntönen umrahmten das kleine Fenster. Schwere Mahagonibücherschränke, überquellend von Büchern und Taschenbüchern und Andenken dankbarer Patienten säumten eine Wand. Pflanzen

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