Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Erinnerungen an seinen Verrat und Francis' Schmerz. Er zwang sich zu einem anmaßenden Grinsen. »Ist gut, dich zu sehen, Bruder. Schön, dass du Zeit hattest, mal vorbeizuschauen.«
Francis zuckte zusammen. Angel fühlte sich augenblicklich wie ein Blödmann. Aber lief es nicht immer so? Warum konnte er nie das Richtige tun oder sagen, wenn Francis da war?
»Wie lange bist du schon hier?«
»Nicht lange«, sagte Angel schließlich. »Ich hatte wieder einen Herzanfall in Oregon und man hat mich hierher geflogen.«
»Wieder einen?«
Er zuckte die Schultern. »Technisch ist es >eine Folge eines Herzfehlers<, aber es fühlt sich, verdammt noch mal, wirklich wie ein Anfall an.«
»Wird es dir wieder gut gehen?«
»Mir geht's immer gut - das solltest du wissen.« Er heuchelte ein Lächeln. »Sie werden mich mit Medikamenten voll pumpen und dann nach Hause schicken. Nichts weiter dabei.«
Francis zog einen Stuhl heran und setzte sich. Er sah älter aus als fünfunddreißig und in seinen blauen Augen war eine Traurigkeit, die bei Angel Unbehagen auslöste. Francis war immer Optimist gewesen.
»Wie ist es dir ergangen, Francis?«
Francis lächelte nicht. »Ist eine tolle Frage nach all diesen Jahren. Was soll ich darauf sagen, Angel? >Mir ging's gut. Wie geht's dir selbst so?<«
Wieder hatte Angel das Falsche gesagt. Er wollte diesen Augenblick retten, etwas daraus machen, aber er wusste nicht wie. Er und Francis hatten ihr Leben lang miteinander gekämpft - zumindest hatte Angel mit Francis gekämpft und Francis hatte das hingenommen. Er wusste nicht, wie er den Kreislauf anhalten könnte, wie er neue Wege gehen sollte, sagen konnte, lass uns neu anfangen.
»Hast du sie gesehen?«, fragte Francis.
Keine Schüchternheit, nicht von Francis. Kein um den heißen Brei herumreden, wer sie war. Angel spürte deutlich, dass eine plötzliche Spannung den Raum erfüllte. »Ja, ich habe sie gesehen.«
»Und?«
Angel musterte seinen Bruder, bemerkte, dass er noch immer blond war und noch immer die schlanke Gestalt eines Langstreckenläufers hatte. Ja, er war derselbe alte Francis, fast in jeder Hinsicht perfekt - gut aussehend und anständig und tugendhaft. Die Art von Mann, bei dem eine Frau sich sicher fühlen würde, von dem sie geliebt werden würde. Der ideale Typ, um zu kommen und das gebrochene Herz eines sechzehnjährigen Mädchens zu kitten.
Der Gedanke machte Angel verrückt.
»Nun?«, sagte Francis.
»Was willst du wissen, Francis? Ob ich sie gebumst habe? Nein, habe ich nicht. Ist ein bisschen schwer, wenn man an einem Herzmonitor hängt.«
Er sah die Abscheu in den Augen seines Bruders, die Enttäuschung. Francis seufzte, fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich weiß, dass du nicht... mit ihr geschlafen hast. Das hatte ich nicht gefragt.«
Angel fühlte sich unter dem durchdringenden Blick seines Bruders wie ein Insekt. Aber das Schlimmste daran war, dass Angel wusste, dass dies alles nur in seiner Phantasie existierte, wusste, dass Francis nichts von dieser Spannung spürte, nichts von dieser kindischen Konkurrenz. Doch Francis förderte wie immer das Schlechteste an Angel zutage.
»Bumst du sie?«, fragte Angel, angewidert und beschämt von seiner eigenen Frage, aber unfähig, sie zurückzuhalten.
Francis betrachtete ihn und sagte eine lange Zeit nichts. Jede Sekunde des Schweigens schien eine Stunde zu währen. »Ich bin Priester«, sagte Francis schließlich.
Angel spürte eine Welle der Erleichterung, empfand dann einen überraschenden Stolz. Er erinnerte sich an die vielen Male, als er mit seinem großen Bruder auf der Vordertreppe gesessen und den Träumen des zehnjährigen Francis gelauscht hatte, Priester zu werden. »Du hast es gemacht, ja? Gut für dich.«
»Alles in allem ist es gut gewesen. Das brachte Ma dazu zu glauben, dass Gott immer über sie wacht.«
Angel merkte, dass er lächelte. Für eine Sekunde war es ein Gefühl, als seien sie wieder Kinder. »Wenn sie's in den Himmel geschafft hat, siehst du alt aus.«
Francis lachte. »Das ganz sicher.«
»Wie ist das so, Priester zu sein?«
»Gut. Ein wenig ... einsam manchmal.«
Angel sah die Bekümmerung in den blauen Augen seines Bruders und einen vagen Schatten von Unzufriedenheit. Er wusste plötzlich, so wie er einfach immer Dinge über Francis »gewusst« hatte, dass sein Bruder wieder über Madelaine sprach. »Du liebst sie.«
Francis zuckte zusammen, lachte dann lahm. »Du konntest immer meine Gedanken lesen. Ja, so
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