Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
grün, aber sie waren immer wässrig und traurig und schauten müde.
Er starb.
Der Ärger verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Sie ging zum Bett hinüber und zog einen Stuhl heran. »Oh, Angel«, sagte sie leise, schüttelte den Kopf und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Mach das nicht mit mir«, sagte er mit einer Stimme, die durch Demerol langsam und undeutlich klang. »Ich ... werde nicht...«
Das rasselnde Keuchen seines Atems schien seine Worte wegzusaugen. Sie musste näher heranrücken, um ihn zu verstehen. »Was ist?«
Er starrte sie an und die Freudlosigkeit in seinem Blick war fast unerträglich. »Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.«
Madelaine sah seine Furcht, seine Unsicherheit, und obwohl sie von all dem unberührt sein wollte, fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Sie berührte sein raues, unrasiertes Kinn. »Es ist in Ordnung, Angst zu haben.«
»Wer sagt denn, ich hätte Angst?«
Sie lächelte sanft. »Du machst mir nichts mehr vor.«
Er bewegte sich ein wenig und zuckte sofort vor Schmerz zusammen. Mit verzerrtem Gesicht zog er die Fernbedienung des Bettes auf seinen Schoß und drückte den Knopf. Klick. Mit einem knirschenden Geräusch hob sich das Bett. Er starrte Madelaine schwer atmend an. »Was soll das heißen?«
Sie war über die Vertraulichkeit der Frage überrascht. Für eine Sekunde erinnerte sie sich an so vieles von ihnen, die kleinen Dinge, die winzigen Augenblicke, die Dinge, die sie zueinander gesagt hatten, Versprechen, die sie sich im Dunkel der Nacht gegeben hatten. Bevor ich dich kennen gelernt habe, Mad, wollte ich sterben ...
Und ihre Antwort, so naiv und furchtsam. Sag das nicht, Angel, sag das niemals.
»Was soll das heißen?«, wollte er wissen.
Sie verdrängte die Erinnerungen und starrte auf ihn hinab. »Als wir Kinder waren, hast du mir oft erzählt, du wollest sterben.«
Eine lange Pause entstand und ihr war erst bewusst, dass sie auf eine Erwiderung wartete, als er antwortete. »Das ist lange her.«
Sie bemerkte plötzlich, wie verschieden sie waren, wie dieselben Worte im Lauf der Zeit so unterschiedliche Bedeutungen haben konnten. Als junges Mädchen war ihr seine Todessehnsucht überaus romantisch vorgekommen, wie ein Fehdehandschuh, den nur sie aufnehmen konnte. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt verstand sie die Worte so, wie sie tatsächlich waren - egoistisch und dumm. Und eine Vergeudung. Eine solche Vergeudung. »Du bist ein Feigling, Angel DeMarco. Das warst du immer.«
»Leck mich.«
»Nur zu, fluche auf mich. Es ändert nichts an der Wahrheit, dass du Angst vorm Leben hast.«
Wut blitzte in seinen Augen. Der Herzmonitor piepte warnend. »Hör doch auf, so zu tun, als würdest du mich kennen. Du kennst mich nicht.«
»Ich weiß, wer du einmal warst, Angel, und, offen gesagt, ich sehe keine Veränderung. Du wusstest nie, wann du Kompromisse zu schließen hattest, wann du dir wirklich Mühe geben musstest. Du wusstest nur, wie man wegläuft. Ja, du bist weggelaufen und hast getrunken und dich versteckt. Und du bist hier geendet, genau da, wo du angefangen hast.«
Er starrte sie eine lange, lange Zeit an, bis die Wut aus seinen Augen verschwand und an ihre Stelle unendliche Resignation trat.
Als er schließlich sprach, war seine Stimme nur ein Wispern. »Ich weiß nicht, wie ich mich ändern soll.«
In diesem Augenblick spürte sie etwas, das sie überraschte, eine plötzliche Verbindung mit diesem Mann, gerade so, als ob für einen einzigen Atemzug die Vergangenheit nie gestorben sei und sie nie erlebt hätte, wie er auf einer brandneuen Harley-Davidson aus ihrem Leben gefahren war. In dieser Sekunde erinnerte sie sich an das Warum und Wie ihrer Liebe zu ihm, an diese winzigen schwachen Stellen in seiner Rüstung, die sie gefesselt hatten, diese Verwundbarkeit, die sie immer in seinen Augen gesehen hatte. Sie dachte daran, wie ähnlich sie sich einmal gewesen waren. »Ich weiß, wie schwer es ist, sich wirklich zu ändern. Aber du bist jetzt daheim. Das muss etwas bedeuten. Francis ist hier und ich weiß, wie sehr er dich liebt, wie sehr er bereit wäre, dir zu helfen. Du bist zu Hause, Angel. Du wirst vielleicht einen Grund zum Leben finden, wenn du dich umschaust.«
Er lächelte sie matt an. »Ich glaube, es war Thomas Wolfe, der sagte >Man kann nie wieder nach Hause zurückkehren.«
»Ich weiß nicht«, sagte sie langsam und hielt seinem Blick stand. »Zu Hause sein ist ein Teil von uns. Das steckt in den Narben, die wir an
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